Karl Veitschegger (1997)

 

Der Skandal des Kreuzes – „Euer Gott muss ein Esel sein!“


 

Ein Gekreuzigter als Inbegriff der Liebe Gottes? Für die Heiden der Antike ist es eine Eselei. Für rechtgläubige Juden und Muslime bis heute ein abwegiger, gotteslästerlicher Gedanke. Für moderne, liberale Erfolgsmenschen eine Peinlichkeit. Für gläubige Christenmenschen nach wie vor das Um und Auf ihres Glaubens.

 

Das "Spottkruzifix" vom Palatin in Rom, 3. Jh.Kein Andachtsbild

Die älteste uns erhaltene Darstellung des Gekreuzigten ist kein frommes Andachtsbild, sondern eine Karikatur aus der Zeit der Christenverfolgung: Eine Wandkritzelei auf dem Palatin in Rom zeigt den Gekreuzigten mit Eselskopf, davor einen Beter, darunter die spöttischen Worte: „Alexamenos betet seinen Gott an“.

Der heidnische Karikaturist kann offensichtlich nicht verstehen, warum sein Bekannter Alexamenos der Religion des Gekreuzigten nachläuft. Ist Religion nicht dazu da, sich schöne erhebende Gefühle zu verschaffen? Sich von positiven göttlichen Kräften durchströmen zu lassen? Verkörpern die Götter nicht Luxus, Reichtum, Genuss, Lust, Unsterblichkeit?

 

Versager?

Was soll da eine Hinrichtung am Kreuz? Ein Gekreuzigter ist in den Augen eines tüchtigen römischen Bürgers ein Verbrecher, zumindest ein Versager, jedenfalls ein vom Schicksal Verfluchter und von den Göttern Verlassener. Ein Gott, der sich kreuzigen lässt, muss ein Esel sein. Das Kreuz verkörpert alles Schiefgelaufene, Grausame, Sinnlose in dieser Welt. Ein anständiger Mensch – so der alte Cicero – sollte nicht einmal daran denken. Der Blick auf die dunkle Seite des Lebens, auf das unvermeidbare Leid, das auch Unschuldige trifft, hat Menschen seit jeher hilflos gemacht.

 

Flucht

Viele entfliehen dieser Hilflosigkeit, indem sie sich ins Vergnügen stürzen. Andere wollen durch „positives Denken“ nur das Schöne und Gute in Welt und Natur wahrhaben. Manche – vor allem esoterisch angehauchte Menschen – versuchen das Leid „philosophisch“ zu erklären, z. B. mit der Lehre von der Wiedergeburt: Gegenwärtige Schicksalsschläge seien nur die „gerechte Strafe“ für das Fehlverhalten in früheren Leben. Aber darf man es sich so einfach machen? Wer kann grausam misshandelten Kindern mit gutem Gewissen sagen: Das habt ihr euch selbst „eingebrockt“!?

 

Christliche Frechheit

Der christliche Glaube kennt keine philosophische Erklärung für das Leid. Auf die oft gestellte Frage, warum ein liebender Gott all das Furchtbare in der Welt zulassen kann, weiß er keine befriedigende Antwort. Er darf bescheiden einbekennen: Ich stehe nicht an der Stelle Gottes. Ich durchschaue Gottes Wege nicht und muss sie daher auch nicht rechtfertigen. Christlicher Glaube „weiß“ aber: Gott steht an meiner Stelle. Er ist in Jesus von Nazaret tatsächlich einer von uns geworden. Der ewige Gott als sterblicher Menschenbruder. Eine christliche „Frechheit“! Judentum und Islam würden in ihren Aussagen über Gott niemals so weit gehen. Aber Christen und Christinnen wagen es zu sagen: Gott kennt das Menschsein nicht nur „von außen“, sondern „von innen“, aus eigener Erfahrung. Er hat ein echtes Menschenleben durchlebt und „durchliebt“, gerade auch die dunklen Seiten unserer Existenz: das Abgelehnt-Werden, die Enttäuschung, die Angst, die Einsamkeit, die Ohnmacht, das Leiden, das Sterben und – so paradox es klingen mag – sogar die Gottverlassenheit. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ In diesem Schrei Jesu am Kreuz sammeln sich die lauten und leisen Schreie aller Gequälten aller Zeiten. Gott zaubert die Leiden nicht einfach weg aus der Welt. Aber er versteht jeden Leidenden, nimmt jedes Leid in sein Herz und – so dürfen wir glauben – pflanzt ihm den Keim des ewigen Ostermorgens ein.

 

(Dieser Beitrag erschien 1997 in „Neues vom Graben“ und „kirche:konkret“)

 

Karl Veitschegger

 

Zitate, die nachdenklich machen – so oder so:

 

► „Die bloße Bezeichnung ‚Kreuz’ sei nicht nur von Leib und Leben der römischen Bürger verbannt, sondern auch von ihren Gedanken, Augen und Ohren. Denn alle diese Dinge sind eines römischen Bürgers und freien Mannes unwürdig."

Marcus Tullius Cicero, gest. 43 v. Chr. (Pro Rabirio 5,16)

 

► „Aber da ist ja in hiesiger Stadt kürzlich eine neue Mitteilung über unsern Gott öffentlich zur Schau gestellt worden, seitdem ein Verbrecher, der für Geld das Geschäft betreibt, die wilden Tiere zu necken, ein Bild zum Vorschein brachte mit der Inschrift:,Der Christengott Onokoites' [=Eselbeischläfer]. Er hatte Eselsohren, einen Fuß von Huf, trug ein Buch und eine Toga."

Tertullian, christlicher Lehrer, ca. 155 - 230 (Apologeticum 16)

 

► „Nicht dem leidenden Gotteslamm aus der jüdischen Geschichte, sondern dem stolzen arischen Herrenmenschen Christus, dem zornigen Eiferer, dem Zerstörer alter vertrockneter Strukturen wollen wir huldigen! Christus kann wegen dieser Eigenschaften auch kein Jude gewesen sein. Der die Händler aus den geheiligten Hallen hinauswarf, soll unser Vorbild sein, nicht der Besiegte, Ohnmächtige am Kreuz!“

Alfred Rosenberg, Ideologe des Nationalsozialismus („Mythos des 20. Jahrhunderts“)

 

► „Es war nicht Gottes Wille, dass Jesus grausam getötet wurde. Aber es war durchaus Gottes Wille, dass Jesus auch diesen ihm von Menschen zugefügten Tod noch mit seiner Liebe zu Gott und den Menschen füllte."

Hans Kessler, Theologe (auf der Salzburger Hochschulwoche 1994)

 

► „Er breitete Seine Arme am Kreuz aus, um die ganze Welt zu umfangen."

Hl. Kyrill von Jerusalem, Bischof, 315–386 (Katechetische Gespräche 13,28)

 

 

Ein Jude deutet das Kreuz

 

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