Karl Veitschegger (2018/2019) Die
„Bekehrung der Pastoral“ nach Papst Franziskus und das
Zukunftsbild der Katholische Kirche Steiermark Geistliche Einführung in das Zukunftsbild – Referat bei verschiedenen
Veranstaltungen 2018/2019 Papst Franziskus wird in die Geschichte eingehen als Papst, der eine
gründliche Kirchenreform zumindest gewollt hat. Ob sie gelingt, wissen
wir noch nicht. Kaum war er im Amt, hat er weltweit zur „conversione pastorale“ (EG 27),
zur „Bekehrung der Pastoral“
aufgerufen – also zur Bekehrung der Seelsorge und des gesamten
kirchlichen Betriebes. Denn „Bekehrung“ – so der Papst – ist zuerst
einmal etwas, das die Kirche selber betrifft, etwas, das sie selber tun muss
– letztlich jeder und jede von uns. Worin besteht die Bekehrung der Pastoral? Man kann die Absicht des Papstes so zusammenfassen: Liebe
Kirche, sorge dich nicht so viel um dich selbst, um dein Image, deine
Mitgliederzahl, deine Position in der Gesellschaft …! Schau nicht immer in
den Spiegel, sondern leg ihn weg und schau dorthin und geh dorthin, wo Gott
dich seit jeher haben will: bei den Menschen. Wende dich ihnen radikal
zu – wie Jesus! Entscheidende
Frage für die Kirchenreform ist daher nicht: Wie geht es der Kirche und was braucht sie, um zu überleben? Sondern: Wie
geht es den Menschen – und was brauchen sie? Wie
soll unser Dienst an unseren Mitmenschen aussehen? Was will Gott von uns als
Kirche in dieser Situation heute? In seinem ersten Schreiben Evangelii
gaudium ruft der Papst auf: Brechen wir auf, gehen
wir hinaus, um allen das Leben Jesu Christi anzubieten! […] Mir ist eine
verbeulte Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen
hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die aufgrund ihrer
Verschlossenheit […] krank ist. Ich
will keine Kirche, die darum besorgt ist, der Mittelpunkt zu sein [..].
(EG 49) Und
– so der Papst weiter – als Kirche sollten wir uns nicht zu sehr davor
fürchten, bei dieser Hinwendung zu den Menschen Fehler zu machen, sondern uns
vielmehr davor fürchten, „[…] uns einzuschließen in die Strukturen, die uns einen falschen
Schutz geben, in die Normen, die
uns in unnachsichtige Richter verwandeln, in die Gewohnheiten, in denen wir uns ruhig fühlen, während draußen eine
hungrige Menschenmenge wartet und Jesus uns pausenlos wiederholt: »Gebt ihr
ihnen zu essen!« (Mk 6,37)“ (EG 49) So
hat Franziskus zur „Bekehrung der Pastoral“ aufgerufen. Und sein Aufruf hat
auch die katholische Kirche in unserem Land getroffen, die gerade zaghaft
einen Weg der Erneuerung („Weg 2018“) begonnen hat. Mit dem Zukunftsbild der Katholischen Kirche
Steiermark (gültig seit Advent 2018) hat unser Bischof Wilhelm
Krautwaschl diesen Bekehrungsimpuls mutig aufgegriffen: Das
Zukunftsbild trägt den Titel: Gott kommt im Heute
entgegen! Dann
folgen im Kernteil programmatisch 11 Punkte, 11 Leitsätze, die für mich auch geistliche Impulse sind
und die ich Ihnen heuet als solche aufzeigen will. Die ersten drei sind aus
meiner Sicht gleichsam die Grundmelodie
des Ganzen. 1. „Wir
gehen vom Leben der Menschen aus“. Der erste Leitsatz ist kein Bibelwort,
kein Katechismussatz, sondern lautet einfach: „Wir gehen vom Leben der
Menschen aus.“ Sehr schlicht, manchen zu banal. Ich finde ihn kühn!
Er verweist uns als Kirche unerbittlich auf den Weg, den Jesus selbst
gegangen ist: Denn bevor Jesus eine Predigt gehalten hat, Jünger um
sich gesammelt hat, ein Wunder gewirkt oder zur Umkehr aufgerufen hat, ist
er Mensch geworden. Ein echter Mensch. So war es Gottes Wille. Rund
30 Jahre lebt Jesus in Nazaret. Er erlernt dort nicht nur ein Handwerk,
sondern lernt vor allem das Menschsein – mit seinen Höhepunkten und
Abgründen. Er erlebt dort das Gelingen und Missglücken menschlicher
Beziehungen, Zärtlichkeit und Gewalt, Herzensenge und Großzügigkeit,
Heuchelei und echte Gottesnähe – und die Mischung von alldem in den Herzen
der Menschen. Er, der sich später mit Vorliebe „Menschensohn“ nennen
wird, ist ein verstehender Mitmensch, bevor er andere lehrt. „Wir gehen vom Leben der Menschen
aus“. Das heißt für uns als Kirche in der Steiermark: Wir wollen die
verschiedenen Lebenswirklichkeiten der
Menschen besser kennen und verstehen lernen – d.h.
die Menschen, wie sie in unseren Städten und Dörfern neben uns leben,
wie sie arbeiten, wie sie denken, wie sie lieben, wie sie hassen … –, vor
allem jene Menschen, die sich mit uns als Kirche verdammt schwertun und
die es vielleicht schon aufgegeben haben, von uns überhaupt etwas zu
erwarten. Jeder Mensch, auch wenn
er „anders“ glaubt und lebt und liebt, verdient unsere Achtsamkeit. Nicht
weil wir ihn für uns „anwerben“ wollen, sondern einfach, weil er unser Mitmensch ist und
wir ihn verstehen wollen. Unsere „Ur-Mission“ heißt: Mitmensch sein.
Schreiben wir das ins Herz! Wer künftig „mit Kirche zu tun hat“,
soll sich nicht verstellen oder verbiegen müssen, sondern zuerst einmal
einfach da sein dürfen und das finden können, was er oder sie
menschlich braucht. Wir wollen diese christliche „Ur-Dogma“
der Mitmenschlichkeit ernst nehmen, sonst gibt es kein glaubwürdiges
Sprechen von Jesus, dem menschgewordenen Gott. Daraus
ergeben sich wichtige Fragen: ► Interessieren wir uns wirklich für
unserer Mitmenschen – nicht aus „Organisationsinteresse“, sondern einfach,
weil sie unsere Mitmenschen sind? (Bekehrung
weg von „Pastoral der Rekrutierung“ zum Interesse am Menschen und an seinem
Alltag.) ► Sind wir gefragte
„Mitmenschen“? Mit welchen Anliegen kommen Menschen zu uns? Mit welchen gehen sie nicht (mehr) zu
„Kirchenleuten“? ► Wir machen als Kirche viele
Angebote für die Menschen, aber was machen wir mit ihnen? 2. „Wir sind alle auf
der Suche nach Gott“ Unser Glaube ist kein unveränderlicher
Betonklotz, sondern ein Weg. Wir
als einzelne Gläubige und als Gemeinschaft der Kirche sind Suchende
und Lernende auf diesem Weg zu Gott. Neue Situationen verlangen neue
Antworten. Es reicht nicht, nur das Alte zu wiederholen. Wir müssen
uns fragen: Was will Gott jetzt, hier und heute von? Wir müssen lernbereit
sein. Auch hier hilft uns der Blick auf Jesus: Obwohl er Gottes Sohn war, „hat er [Gehorsam] gelernt“
(Bibel, Hebr 5,8), Im liebevollen Mit-Leben mit den
Menschen, in den Begegnungen mit ihnen, lernt Jesus immer
besser kennen, was Gott, sein Vater von ihm will. Ich erinnere hier gerne an eine
Erzählung in der Bibel –in Mt15, 21-28: Jesus
begegnet einer heidnischen Frau (Mt15,21-28) Jesus […] zog sich in das [heidnische]
Gebiet von Tyrus und Sidon zurück. Und siehe, eine kanaanäische Frau aus
jener Gegend kam zu ihm und rief: „Hab Erbarmen mit mir, Herr, du Sohn Davids! Meine Tochter wird von
einem Dämon gequält.“ [Als frommer Jude kann Jesus mit der
Heidin zuerst nicht viel anfangen. Darum heißt es im Ev.:] Jesus aber gab ihr keine Antwort. Da traten seine Jünger zu ihm und
baten: „Schick sie fort, denn sie
schreit hinter uns her!“ Er antwortete: „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt.“ [So hat er bisher den Auftrag seines Vaters verstanden:
Ich bin zwar zu den Armen und Verlorenen gesendet, aber doch wohl nur zu den
Juden, nicht zu den Heiden] Doch sie kam, fiel vor ihm nieder und
sagte: „Herr, hilf mir!“ Er erwiderte [katechismusartig
mit einem Sprichwort]: „Es ist nicht recht, das Brot den Kindern
wegzunehmen und den kleinen Hunden vorzuwerfen.“ Da entgegnete sie: „Ja, Herr! Aber
selbst die kleinen Hunde essen von den Brotkrumen, die vom Tisch ihrer Herren
fallen.“ [Das trifft Jesus in sein menschliches
Herz] Darauf
antwortete ihr Jesus: „Frau, dein Glaube ist groß. – Es soll dir geschehen, wie du willst.“ Und von dieser Stunde an war ihre
Tochter geheilt. Diese Bibelstelle zeigt uns, wie Jesus
als Mensch das „Gehorchen“ lernt: das immer tiefere „Hineinhorchen“ in die
Lebenswirklichkeit der Menschen und damit in den Willen Gottes, seines
Vaters. Wenn Jesus aus der Begegnung mit Menschen (glaubensfremd,
kulturfremd) gelernt hat, dann darf/muss auch die Kirche eine lernende, eine fragende
und suchende sein. Darum der 2. Leitsatz im Zukunftsbild:
„Wir sind alle auf der Suche nach Gott.“ Die katholische Kirche in der
Steiermark will demnach keine rechthaberische „Schriftgelehrte“
und keine moralische „Besserwisserin“ sein, die schon von vornherein weiß, was für jeden und jede in
dieser oder jener schwierigen Situation richtig ist. So hat man Kirche leider
zu oft erlebt! Und von dieser Art Kirche haben die Leute die Nase voll! Nein,
wir wollen eine Kirche sein, die um ihre Menschlichkeit weiß, auch um das
Allzu-Menschliche und Unmenschliche in ihr, eine Kirche, die buß- und
lernfähig ist; wir wollen eine
Kirche sein, die vertrauensvoll auf Menschen zugeht – gerade auch auf solche,
die ihr „fremd“ sind oder die sie für „Heiden“ hält, weil sie vielleicht in
moralisch verzwickten Situationen leben. Wir glauben – sagt das Zukunftsbild –
an die Gegenwart Gottes in jedem Menschen. Von jedem und mit
jedem können wir etwas lernen über das, was das Leben zutiefst ausmacht –
und damit über Gott. Freilich haben wir auch
aus unserer kirchlichen Tradition viel anzubieten – der Schatz unseres Glaubens ist groß –
aber das ist nur möglich in einem Klima des Vertrauens. Dieses gilt
es (wieder) aufzubauen. Nach dem weltweiten Hochschwappen der
Missbrauchsskandale ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Kirche auch in
unserem Land sehr gesunken. Da kann man auch in unserer Diözese nicht einfach
Jubiläum feiern und weitermachen wie bisher. „Wenn
ich als Christ, ob das ein Laie ist, Mann oder Frau, oder ein Priester, eine
Ordensfrau, ein Bischof – wenn wir Christen nicht lernen, die Leiden
anzuhören, die Probleme anzuhören, in Stille zu verharren und den anderen
sprechen lassen, dann werden wir nie dazu in der Lage sein, eine aufbauende
Antwort zu geben. Und so oft kann man die aufbauenden Antworten nicht mit Worten geben. Sie müssen
gegeben werden, indem man sich selbst im [Lebens-]Zeugnis riskiert. Wo es kein Zeugnis gibt, ist kein Heiliger
Geist.“ (Papst
Franziskus an Jugendliche in Rom, 11.08.2018) Wir müssen wieder zuhören lernen,
hineinhorchen in das Leben: Was brauchen Menschen wirklich? Was könnte Gott
mit ihnen vorhaben? Was will er dabei von uns? Nur wenn wir aufmerksame
Mitmenschen werden, können wir für unserer Mitmenschen auch wieder
verlässliche Begleiter und Begleiterinnen auf dem Weg zu Gott sein – unaufdringlich,
immer in großem Respekt vor ihrer Freiheit. Wir werden dabei auch in uns
Unbeholfenheit, Zweifel, ja Ratlosigkeit spüren und aushalten müssen. Aber
wir haben Jesus, sein Wort, sein Vorbild, sein Leben – das kann uns
inspirieren. Der Heilige Geist wohnt auch in den Zwickmühlen des Lebens. Er
kann auch in scheinbar aussichtslosen Situationen unerwartet neue
Wege erschließen – und mutet sie uns zu. Auch der zweite Punkt des
Zukunftsbildes stellt uns vor wichtige Fragen: ► Mit wem sprechen wir selber über
unseren Glauben, unser Fragen und Suchen nach Gott. ► Mit wem sind wir auf unserer
Lebensstraße unterwegs? Sind darunter auch Menschen, die wenig Lust auf
Kirche haben, die anders denken, anders glauben, anders leben, anders lieben
als wir? Wie geht es uns mit ihnen? ► Welche Menschen ziehen wir
(als Kirche) an? Welche Milieus sind uns fremd? Warum? ► Wer unter uns hat die
Fähigkeit, Menschen aufmerksam und geduldig zu begleiten? 3. „Wir begegnen dem
Geheimnis Gottes in der Liebe zu den Armen und Benachteiligten“ „Im
Herzen Gottes gibt es einen so
bevorzugten Platz für die Armen, dass er selbst arm wurde“ (EG 197), sagt Papst Franziskus. Das
Evangelium und eine Reihe kirchlicher Dokumente (vor allem seit Paul VI.)
lassen keinen Zweifel daran: Die Armen, die, die an den Rand gedrängt
werden, sind die Lieblinge Gottes. Sie sind die ersten Adressaten des
Evangeliums! Sie müssen im Mittelpunkt kirchlichen Interesses stehen.
So steht es seit langem in den kirchlichen Dokumenten. Die Dokumente haben
sich schon bekehrt – aber wir? Der Umgang mit den Armen bringt uns
als Kirche wenig Ansehen, ist manchen ein Dorn im Auge und erregt Anstoß,
mitunter auch bei gutsituierten Kirchenmitgliedern. Aber er ist für uns
notwendig. Papst Franziskus macht immer wieder
klar: Die Armen sind nicht nur Empfänger unserer Spenden und
guten Werke, sondern sie sind – Achtung! – vor allem ein
Geschenk Gottes an uns, eine Botschaft Gottes an uns. Der
Papst sagt sogar: Wir müssen uns von den Armen „evangelisieren lassen“
(EG 198). Denn die Armen konfrontieren uns mit
Lebenswirklichkeiten, die wir gerne ausblenden. Gerade durch die Armen und
von ihnen können wir viel lernen – über das Menschsein und seine
Abgründigkeit, über das Nichts-mehr-verlieren-Können,
über das Alles-auf-eine-Karte-setzen-Müssen, über das Angewiesen-Sein
auf einen letzten Halt, über Glück und Unglück, über Schuld
und Vergebung – und so, ja gerade so über Gott und seine seltsamen
Wege, Umwege und Überraschungen ... Die Begegnung mit armen Menschen ist
eine Quelle der Weisheit, eine Quelle unseres Glaubens, eine
Quelle echter Theologie. „Aus
diesem Grunde“, sagt
Papst Franziskus, „wünsche ich mir eine
arme Kirche für die Armen. Sie haben uns vieles zu lehren.“ (EG 198) Werden wir in der Steiermark den Mut
haben, eine „Kirche der Armen“ zu sein? Was heißt das für jeden und jede von
uns? Was muss sich da in uns ändern? Ich glaube, hier tun wir uns fast alle
schwer. ► Wo stecken die wirklich „armen
Teufel“ in unserem Land, in unseren Städten, in unseren Dörfern? Wo sind die
Vergessenen und Abgeschriebenen? Die, die keiner will? ► Wieviel Zeit verbringe ich mit
Menschen, die man landläufig „arme Teufel“ nennt? ► Wie verändern diese
Begegnungen mich, mein Christsein, meinen Lebensstil, meine Gebete, mein
Denken über Gott, über Kirche? Ändern sie unsere Predigten, unser Engagement?
► Was denken die armen Menschen
in unsrem Land, in unseren Dörfern und Städten? Sagen sie: Die Kirche ist
unsere Freundin!? Vielleicht spüren wir an diesem Punkt
besonders gut, was mit der „Bekehrung der Pastoral gemeint
ist. ► Würde ein Fremder, der in
unsere Kirchen und Gebäude, in unsere Veranstaltungen oder zu unseren Festen
kommt, sagen: „Wow, die haben ein besonderes
Herz für die Armen!“? Paul VI. hat 1968 in Kolumbien bei
einer Messe mit 200.000 Campesinos die Armen als „Sakrament Christi“
bezeichnet. Denn jener Christus, der gesagt hat: „Dies ist mein Leib“, ist derselbe, der gesagt hat: „Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen
gegeben“. Ohne Liebe zu den Armen kann niemand Gottes Heil erlangen! Nach
Matthäus 25 ist dieses „Sakrament der Armen“ heilsnotwendig.
Und von diesem Sakrament kann auch
nie dispensiert werden! Ohne dieses Sakrament wird es auch keine
Kirchenreform und keine geistliche Erneuerung in der Steiermark
geben. Vom hl. Bischof Oscar Romero, der 1980 wegen seines Einsatzes für die
Entrechteten in El Salvador ermordet worden ist, stammt ein prophetisches
Wort: „Wenn
die Kirche von den Armen ausgeht, wird es ihr gelingen, für alle da zu sein.“ 4. „Wir fördern neue
Erfahrungsräume von Kirche“ Wo erfahren Menschen heute Kirche? In
den klassischen Pfarren? – Wir sind zwar froh und dankbar, dass
wir unsere Pfarren mit ihren Angeboten haben, aber wir müssen auch zugeben,
dass sich davon immer weniger Menschen angesprochen fühlen …Denken Sie an
ihre Kinder, Enkelkinder …! Nur 4% der 16-29-jährigen katholischen Menschen
in ÖRR kommen zu Sonntagsmesse. Also 96% bleiben ihr fern! 33% gehen nie zu einer Messe! Sind diese
jungen Leute schlechtere Menschen als unsere Vorfahren, die noch brav die
Kirchenbänke füllten? Doch wohl nicht. Irgendwas stimmt also nicht mehr an dem,
wie wir Kirche sind und leben bzw. es reicht nicht aus. Was will uns Gott dadurch sagen? Wo und wie leben Menschen heute
Glaube, Hoffnung und Liebe? Brauchen sie andere Formen, ihre
Spiritualität zu leben? Heißt das dann nicht auch, dass es andere
und neue Formen des Kirche-Seins neben dem klassischen Pfarrleben
geben muss? Als Kirche in der Steiermark wollen
wir jedenfalls dafür offen sein, Initiativen nicht abwürgen, sondern
fördern!!! Im Zukunftsbild ist von neuen „Kirchorten“ die Rede.
(Damit sind „Orte“ gemeint, in denen Kirche bewusst auf neue Art
gelebt wird.) [Das
kann eine Meditationsgruppe sein, ein Gruppe, die sich auf neue Weise mit der
Bibel auseinandersetzt – vielleicht ökumenisch unterwegs ist,
Christenmenschen, die sich bewusst für
einsame alte Menschen Zeit nehmen, Leute, die sich mit Hilfe der Musik Gott
nähern… oder etwas, das wir uns heute noch gar nicht vorstellen können.] Die
neuen Seelsorgeräume
sind nicht als größere Pfarrverbände gedacht – es geht eben nicht nur um
Pfarren, sondern gerade auch um neue und andere Formen des Kirche-Seins!!! Ein Seelsorgeraum ist auch nicht nur
Organisationsraum, sondern primär ein Netzwerk der Achtsamkeit für Gott und
die Menschen … Es geht um die Lebenswirklichkeit der Menschen! ► Was will Gott hier in dieser
unserer Gegend von uns? Wo sehen wir ihn am Werk? Was wollen wir fördern, was
an Neuem zulassen und riskieren?] 5. „Wir gestalten die Gesellschaft aus dem Glauben mit“ Die weltliche Macht der Kirche nimmt ab!
Und ich behaupte, das ist gut so! Die Bekehrung zur Demut tut allen Gläubigen
gut, aber sie tut auch der Kirche als Institution gut! „Kleriker müssen nicht die Haberer der
Machthaber sein.“ Als
Christinnen und Christen wollen wir aber ein aktiver Teil der Gesellschaft
sein. Wir arbeiten in der Gesellschaft mit, leisten unsere Dienste
(karitativ, pädagogisch, kulturell …), aber leisten auch Widerstand, wo die
Gesellschaft unmenschlich wird! Wir
suchen den Dialog und die Zusammenarbeit mit denen, die Verantwortung tragen
in Politik, Kunst, Medien, Vereinswesen, NGOs … Wir wollen Menschen
des Dialoges sein! Wichtig: Dabei geht es um das Wohl der Menschen,
nicht um unsere Organisation! Katholisch
sein heißt weltweit denken, beten und handeln. „Wer getauft ist, hat Geschwister in der ganzen Welt …“ (Man
kann nicht zugleich katholisch und nationalistisch sein.) ►
Was können wir (z. B. in unserem Seelsorgeraum) beitragen, damit unsere
Gesellschaft und die Welt sozial gerechter, schöpfungsfreundlicher,
frauenfreundlicher, kinderfreundlicher, menschlicher und barmherziger wird? 6. „Wir freuen uns über die Vielfalt an Berufungen“ Oft denkt man bei Berufungen nur an
Priester- und Ordensberufe. Vielleicht noch an Diakone. Diese Engführung ist fatal!
Kirche ist nicht gleich Klerus, nicht gleich Hierarchie! Unser Zukunftsbild
sagt wie der Papst Nein zum „Klerikalismus“! Klerus wurde überschätzt
und überfordert, verwöhnt und überfrachtet! Auch hier ist Bekehrung angesagt!
Weg vom Klerikalismus – hin zur Freude über die Vielfalt (!) der
Begabungen Charismen und Berufungen … Wir wollen diese Vielfalt im
Volk Gottes entdecken, zulassen, fördern …Es geht auch um ein gerechteres
und faireres Miteinander von Geweihten und „Laien“, Männern und
Frauen, Haupt- und Ehrenamtlichen. ► Wann haben wir zum letzten Mal
jemandem gesagt, dass wir für sein Charisma/seinen Dienst dankbar sind? Wenn das mit der Vielfalt ernst
genommen wird, wird Kirche-Sein sich verändern! Das ändert auch Rollen der Priester,
Diakone und Hauptamtlichen … 7. „Wir brauchen Frauen und Männer, die ermöglichen und
befähigen“ Unter
diesem Punkt steht im Zukunftsbild auch ein Satz, der ziemlich revolutionär
klingt: Träger/innen der Seelsorge sind „die Menschen vor Ort“ –
d.h. Sie alle sind als Mitmenschen und Mitchrist/inn/en
für die Seelsorge verantwortlich! – Ist Ihnen das bewusst? Können Sie das und
wollen Sie das? Geweihte
und Hauptamtliche sind eigentlich dazu geweiht und bestellt, die anderen
Getauften und Gefirmten dabei zu ermutigen, zu unterstützen und sie dazu zu
befähigen. Nicht die „Leute“ unterstützen den Pfarrer, sondern eigentlich
umgekehrt … Hauptamtliche
haben das größere Ganze im Blick
– Priester, Diakone und Hauptamtliche Laien müssen diese Aufgabe neu oder
verstärkt lernen. 8. „Wir gestalten den Dienst der Leitung neu“ Wenn
viele unterschiedliche Begabungen und Dienste die Kirche gestalten, wird auch
die Frage nach Koordination und Leitung neu virulent. Früher
hieß es: Chef ist in allem der Pfarrer! – Heute fragt man: Kann er das überhaupt leisten? Geht
das? – Man wird neu über Leitung und Verantwortung nachdenken müssen. Wir
haben schon Abschied genommen vom „priesterlichen Allesmüsser
und Alleskönner“! Und eines Tages werden wir wohl auch vom „priesterlichen Allesdürfer“ Abschied nehmen. Das
Zukunftsbild unterscheidet jedenfalls bereits verschiedene
Aspekte der Leitung: geistlich, sakramental, pastoral,
organisatorisch, ökonomisch – „Geteilte Leitung“: gemeinsam
verantwortete Leitung [Bezüglich SR gilt:
„Priester ist Leiter des Seelsorgeraumes und teilt sich die
Gesamtverantwortung mit dem Pastoral- bzw. Verwaltungsverantwortlichen“ –
„Die Entscheidung, dass die Seelsorgeräume unter Beibehaltung der pfarrlichen
Strukturen unter Leitung eines Priesters als Pfarrer aller Pfarren sein wird,
ist kein Ideal, sondern ein Zugeständnis an Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft.“ (Bischof Wilhelm, Recollectio-Vortrag
2019)] Zunehmend
wichtig wird auch die Frage der Transparenz und der Kontrolle
von Machtausübung (gilt für Geweihte und „Laien“)! ►
Lass ich mir von anderen auf die Finger schauen? Lass ich meinen Dienst in
der Kirche kritisch befragen? (Oder nur, wenn ich vom Recht dazu gezwungen
werde?) Wie treffe ich meine Entscheidungen? Der
Papst wünscht einen Ausbau der Synodalen Strukturen: „Synodal“
heißt wörtlich „gemeinsam auf dem Weg sein“: Entscheidungsfindungen in
der Kirche sollen im repräsentativen Miteinander geschehen, im
Miteinander-auf-Gott-Hören!! „Laien“ und Geweihte, Männer und Frauen
fragen sich gemeinsam: Was will Gott von uns heute hier in …? Letztlich
geht es um gemeinsame Orientierung an Christus – Er ist der Chef
der Kirche! 9. „Wir setzen auf
Qualität und Vielfalt“ Wir werden in den nächsten Jahren
verstärkt nachdenken müssen: Was bedeutet Qualität in der Seelsorge?
Unterschiedlichkeit
der Menschen und die Buntheit in unserer Gesellschaft verlangen differenziertes
Handeln der Kirche: „Ein Model-ein-Teig-Prinzip“ geht nicht mehr! Das Zukunftsbild nennt schlagwortartig
einige Qualitätsmerkmale für kirchliches Handeln: geistlich
fundiert, verlässlich, relevant (für das Leben von Bedeutung), ermöglichend
(nicht bevormundend), verständlich, qualitativ hochwertig, innovativ,
experimentell. 10. „Wir schaffen Raum
für Neues“ Wir brauchen auch den
Abschied von Liebgewordenem, damit Energie für Neues da ist. Worauf
kann oder muss verzichtet werden? Abschied tut weh!!! Man spricht von „Kultur des Loslassens“. – Nichts ist deshalb schlecht, weil es
sterben muss!!! Aber seine Zeit kann um sein – was in Liebe getan
wurde, wird weiter Früchte tragen, über den „Tod“ hinaus. Wir brauchen Mut
zum Neuen, Mut zum Risiko … Man kann nicht immer nur addieren, man muss auch
weglassen lernen. ► Was sind wir bereit aufzugeben
(zugunsten eines anderen)? 11. „Wir gehen mit
unseren Ressourcen verantwortungsvoll und nachhaltig um“ Es geht hier darum: Wirtschaft und
Verwaltung müssen der Pastoral dienen – sparsam, schlank, nachhaltig. Schlusswort Es spricht viel dafür, dass die
katholische Kirche in den nächsten Jahren in unserem Land zahlenmäßig noch
kleiner wird – und auch anders wird. Kleiner
und anders heißt nicht unbedingt unwichtiger. Denn sie kann realitätsnäher,
wahrhaftiger, demütiger, barmherziger werden – und gerade so wieder glaubwürdiger
und ihrem Meister ähnlicher,
der von sich gesagt hat, dass er „nicht
gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen.“ (Mt 20,28)
Möge das Zukunftsbild nicht Papier bleiben, sondern Ihr Herz
berühren, möge es Hände und Füße bekommen und viel Leben ermöglichen! Gott
will auch durch Sie wirken! Karl Veitschegger Das
Zukunftsbild der Katholischen Kirche Steiermark Zurück zur Startseite von Karl Veitschegger Zurück zum
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