Karl Veitschegger

 

Thema: „Taufscheinchristen“

10 theologische Gedanken


Folgende Gedanken entstammen der Vorbereitung zu einer Pfarrgemeinderats-Klausur 1995. Sie wollen dazu anregen, dem Problem „Fernstehende Getaufte“ nicht nur pragmatisch, sondern auch theologisch zu begegnen.

 

1. „Kommt alle zu mir ...!" (Mt 11,28-30). Die Offenheit Jesu für alle Menschen verdichtet sich besonders in Tod und Auferstehung: „Wenn ich über die Erde erhöht bin, werde ich alle an mich ziehen!" (Joh 12,32)

 

2. Die Kirche Jesu Christi muss „katholisch" sein: universal, offen für alle Menschen aller Zeiten, aller Orte und Kulturen (vgl. KKK 836).

 

3. Durch die Taufe wird ein Mensch in die sichtbare Gemeinschaft der Christgläubigen aufgenommen. Die Gemeinschaft der Kirche ist dabei das Zeichen der Liebe und Nähe Gottes. Gott schenkt uns die Gemeinschaft mit ihm, wir antworten im Glauben. Die Taufe ist der sakramentale Beginn eines Glaubens-Weges, den wir gemeinsam mit anderen (und mit Hilfe der anderen) gehen. Ein anfanghaftes, schlichtes Ja zu Jesus Christus darf und soll sich lebenslang entfalten und vertiefen. Christ-Sein hat immer mit Jüngerschaft (Lernen!), Weg, Wachstum zu tun.

 

4. Es ist sehr schwierig, Menschen daraufhin zu überprüfen, ob ihr Glaube groß genug ist (z.B. als Zulassungsbedingung zu den Sakramenten). Wir sehen nicht in das Herz der Menschen. Petrus und die anderen Apostel, haben für Jesus „alles verlassen"; dennoch attestiert ihnen Jesus mehrmals „Kleinglauben" (Mt 8,26. 14,31. 17,20), hingegen sagt er zu einer Heidin, die ihn „nur" aufdringlich um die Heilung ihrer Tochter bittet: „Frau, dein Glaube ist groß!" (Mt 15,28) Wir dürfen in der Seelsorge niemandem vorschnell den „not-wendigen" Glauben absprechen.

 

5. Auch Menschen, die Jesus begeistert „Herr" nennen, ja sogar Wunder in seinem Namen tun, könnenFernstehende" sein, so weit weg vom Willen Gottes, dass Jesus sagen muss: Ich kenne euch nicht (Mt 7,21-23). Entscheidend für die Gottesnähe ist die Liebe. Der Samariter in Lk 10,25-37 ist kultisch gesehen ein „Fernstehender", aber durch seine Liebestat Gott ganz nah.

 

6. Manchmal ist offenkundig, dass ein Getaufter die Gebote Gottes und die Weisungen der Kirche in schwerwiegenden Punkten übertritt. Wir können trotzdem nicht mit Sicherheit sagen, dieser Mensch sei ein Todsünder und habe seine Taufgnade verloren (KKK 1861). Denn „eine Todsünde erfordert volle Erkenntnis und volle Zustimmung" (KKK 1859). Sind diese wirklich gegeben?

 

7. Alle Getauften sind bleibend berufen, für Gott zu leben und Früchte zu bringen. Aber nicht immer sind die Früchte eines christlichen Lebens deutlich erkennbar. Es kann sein, dass Gott über jemanden, dessen Früchte uns mager erscheinen, sagt: Dieser Mensch hat getan, was er konnte!

 

8. In der Seelsorge gab es immer rigoristische und laxistische Strömungen. Beide enthalten wichtige Wahrheiten. Die „Pastoral der engen Tür" macht uns darauf aufmerksam, dass es letztlich auf eine Entscheidung für Christus ankommt, dass der Weg zum Leben „schmal" ist (Mt 7,13 - 14). Die „Pastoral der leichten Last" (Mt 11,30) macht uns darauf aufmerksam, dass möglichst viele Menschen diesen Weg finden sollen und dass Gott in Geduld und Liebe auf jeden wartet, auch auf den, der stolpernd und fußmarod diesen Weg geht.

 

9. Es gibt eine gestufte Kirchlichkeit: Durch die Taufe wird ein Mensch Glied am Leib Christi. Kirchlichkeit zeigt sich in vielfacher Weise. Am dichtesten realisiert sich der Leib Christi allerdings in der Feier der Eucharistie. Die Kerngemeinde, die regelmäßig Eucharistie feiert, und die Masse des getauften Kirchenvolkes sind in Christus verbunden. Das eucharistische „Für euch und für alle" macht die Gottesdienstgemeinde auch für jene verantwortlich, die nicht mehr oder noch nicht zum Gottesdienst kommen.

 

10.Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns. Wer euch auch nur einen Becher Wasser zu trinken gibt, weil ihr zu Christus gehört – amen, ich sage euch: er wird nicht um seinen Lohn kommen." (Mk 9,40 - 41) Wenn das stimmt, dürfen wir dann jemanden, der zwei Tage im Jahr für die Kirche arbeitet (dem entspricht ungefähr die Höhe des Kirchenbeitrages in Österreich), lieblos zum „Taufscheinchristen" stempeln?

 

 

Karl Veitschegger (1995)

 

 

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