Karl
Veitschegger (2004)
Späße von der Kanzel – Lachen im
Kirchenschiff
Der verschwundene Brauch des „risus paschalis“. Ein Beitrag
für „kirche:konkret". Vom 14. Jahrhundert an wurde wenigstens zu Ostern in der Kirche lauthals
gelacht. Als Protestantismus und Aufklärung mehr liturgischen Ernst
einforderten, verstummte das Gelächter im katholischen Gottesdienst immer
mehr. Ausgelassen Noch 1906 soll in Reischach, Landkreis
Altötting, ein Pfarrer mit Witzen und Anekdoten bei der Osterpredigt das
ganze Kirchenschiff zum Lachen gebracht haben. Er war mutmaßlich der letzte,
der die mittelalterliche Tradition des „risus paschalis“, des „Osterlachens“ praktizierte. Unter seinem
Nachfolger siegte auch in dieser Gemeinde der liturgische Ernst. Freilich
trieben es die Prediger im Mittelalter beim Ostergottesdienst manchmal recht
bunt. Sie erzählten nicht nur harmlose Scherze und Schmunzelgeschichten,
sondern machten die Kanzel häufig zur Bühne, wo sie ihr komödiantisches
Talent voll auslebten. Grimassen schneidend, Haare raufend, Zunge zeigend,
mit Händen und Füßen gestikulierend gaben sie den Sieg Christi über Hölle,
Tod und Teufel wie einen Bauernschwank zum Besten. Das Kirchenvolk brüllte
auf, klopfte sich auf die Schenkel und rief nach Zugabe. Da ließ sich der
eine oder andere Prediger dazu hinreißen, plötzlich wie eine Henne zu
gackern, um dann aus der Kutte ein angeblich von ihm gelegtes Ei
hervorzuzaubern. Welch Gegröle und Gekreische im weihrauchschwangeren
Gotteshaus! Christus ist auferstanden, der Teufel hat nichts mehr zu lachen
und die Erlösten können sich vor Lachen kaum mehr halten! Kritik am Osterlachen Martin Luther
(1483–1546) lehnte diesen Brauch als „närrisch lächerliches Geschwätz“ ab,
aber auch der Basler Pfarrer und Reformator Johannes Ökolampad
(1482–1531) sparte nicht mit Kritik. In einem Brief an seinen Kollegen
Wolfgang Capito klagte er über die Oster-Prediger: „Einer schrie immer
Kuckuck. Ein anderer legte sich auf Rindermist, tat, als sei er im Begriff,
ein Kalb zu gebären. Wieder einer zog einem Laien eine Mönchskutte an, machte
ihm dann vor, er sei nun Priester und führte ihn zum Altar. Wieder einer
erzählte, mit welchen Mitteln der Apostel Petrus die Wirte um die Zeche
betrog.“ Ja, sogar zu Obszönitäten sei es gekommen. Er, Ökolampad,
verabscheue das und witzle auf der Kanzel nicht über Dinge, „die Eheleute in
ihrer Kammer und ohne Zeugen zu tun pflegen.“ Capitos Antwort fiel weniger
theologisch als pragmatisch aus: Immerhin hindere das Osterlachen die Leute
in der Kirche am Einschlafen. Und es sei besser vor lachenden Menschen zu
predigen als in leeren Kirchen! „Ihr werdet lachen! Aber zu viele,
die sich die Erneuerung der mittelalterlichen Kirche auf die Fahnen
geschrieben hatten, wollten dieses Gelächter nicht länger tolerieren. Außer
der evangelischen Prominenz und den Vertretern der Aufklärung, für die nur
das Vernünftige und Ernste in der Liturgie Platz hatte, gab es auch
katholische Obrigkeiten, die gegen diese mittelalterliche Ausgelassenheit
einschritten. Im 18. und 19. Jahrhundert konnte sich Lustiges nur noch sehr
entschärft in der Liturgie halten: das „Ostermärlein“. Harmlose
Geschichtchen. Artiges Schmunzeln statt herzhaftem Lachen. Im 20. Jahrhundert
wurde den Gottesdienstteilnehmern schließlich das (absichtliche) Lachen ganz
abgewöhnt. Manche Seelsorger und Seelsorgerinnen bedauern das. Sie wissen
zwar um die destruktive und asoziale Seite des Lachens (z. B.
wenn ein Schwächerer ausgelacht oder Heiliges entehrt wird), sie wissen aber
auch, dass das laute Lachen etwas Befreiendes an sich hat, ja Ausdruck
positiver Aggression sein kann, die vielem, was nur vordergründig groß und
wichtig erscheint, die Maske herunterreißt. Ein solches Lachen erhöht die
Niedrigen und wirft die Mächtigen vom Thron – wie das Jauchzen der jungen
Maria (Lk 1,46-55). Der Brauch des „risus paschalis“ lässt sich kaum wiederbeleben. Aber, so fragen
sich viele in der Kirche, ist deshalb den Christen das Lachen für immer
vergangen? – Zumindest für den Himmel verspricht Jesus: „Ihr werdet lachen!“
(Lk 6,21) Quelle für Ökolampad-Zitate: Oecolampadii, ad V. Capitonem Theologum Epistola apologetica, Basilaea 1518. (Diesen Hinweis verdanke ich der Luzerner Literaturwissenschaftlerin Dr. Heidy Greco-Kaufmann.)
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