Karl Veitschegger (seit Mai 2017) Meine „Positionen“
im SONNTAGSBLATT für Steiermark https://www.meinekirchenzeitung.at/tag/karl-veitschegger 7. Mai 2023 Ich erinnere mich gerne an die Maiandachten meiner
Kindheit in unserer Dorfkirche. Es roch nach Weihrauch. Blumen überschwemmten
den Marienaltar noch verschwenderischer als sonst. Gefühlvolle Lieder und das
Murmeln des Rosenkranzes beruhigten mein unruhiges Bubenherz und überzeugten
es: Gott ist schön und riecht gut. Und Maria, die Mutter Jesu, muss ziemlich
beliebt sein bei dieser Menge von Blumen. Später hörte ich viel über Maria im
Religionsunterricht und als Theologe beschäftigte ich mich kritisch mit den
katholischen Mariendogmen und klopfte sie auf ihre bleibende Bedeutung ab.
Aber so richtig warm ums Herz wurde mir dabei nicht. In letzter Zeit habe ich einen neuen Zugang zu
Maria gefunden. Die Evangelien zeigen sie auch als Frau, die sich mit ihrem
Sohn Jesus oft schwertut. Denn er ist kein Muttersöhnchen und geht seinen
eigenen Weg. Muss ihn gehen. Sie kann dabei vieles von dem, was er sagt und
tut, nicht verstehen. Und sie riskiert sogar manch scharfes Wort von ihm:
„Was willst du von mir, Frau?“ (Joh 2,4). Aber sie gibt nicht auf, bleibt ihm
zugetan. Auf der Hochzeit zu Kana provoziert sie dadurch sogar das bekannte
„Weinwunder“. Das alles macht sie mir sympathisch. Denn auch ich verstehe
manches Wort und manche Handlungsweise Jesu nicht. Auch ich bitte vielleicht
um Dinge, die banal erscheinen. Aber ich will trotzdem nicht von ihm lassen. Nach Ostern finden wir Maria im Kreis der
Jüngerinnen und Jünger. Gemeinsam mit ihnen bittet sie jetzt um den Heiligen
Geist. Sie alle wollen Jesus besser verstehen lernen. „Verstehen lernen“ ist
auch ein Name für Christ:in sein. 26.03.2023 Eines muss man den Deutschen lassen. Wenn sie eine
Sache angehen, tun sie es gründlich. Für österreichische Ohren klingt manches
hart. Wir vermissen den Charme der Diplomatie. Das trifft auch auf den
„Synodalen Weg“ (SW) der katholischen Kirche in Deutschland zu. Er wurde
begonnen, um den Missbrauchsskandalen schonungslos auf den Grund zu gehen.
Unsere katholischen Nachbarn haben klar erkannt: Die Unzahl an Missbräuchen
innerhalb der Kirche und ihr Verborgen-Halten waren nur möglich, weil „geistliche
Macht“ überhöht und zu wenig ernsthaft hinterfragt worden ist: weder die
Macht oft unreifer, „charismatisch“ wirkender Priester, noch die überzogene
Macht von Bischöfen, die praktisch gar nicht in der Lage sind, jene
Verantwortung zu übernehmen, die ihnen feierlich zugesprochen wird. Die
grausame Frucht dessen: Durch Jahrhunderte war „uns Kirchenmenschen“ (ich
zähle mich auch dazu) das Image der Kirche wichtiger als das Leid der
Geschändeten. Vertuschung und Verharmlosung sind auch Ausdruck von Selbstidealisierung
und Feigheit. Wer sagt, in der Kirche gehe es ja gar nicht um
Macht, sondern nur um „Dienst“, denkt vielleicht fromm, aber zu kurz. Macht
ist nichts Schlechtes. Sie ist auch in der Kirche nötig, um das Gute
durchzusetzen und Schwächere zu schützen. Aber sie gehört verständlich
legitimiert, sachdienlich aufgeteilt, transparent ausgeübt und muss vom „Volk
Gottes“ auch kontrollierbar sein: „Prüfet alles, das Gute behaltet!“ (1Thess
5,21) Erst so wird sie zum Dienst. Das ist mir beim Mithören des SW neu
bewusst geworden. Kein beliebter, aber ein wichtiger Impuls unserer Nachbarn. Karl Veitschegger 12.02.2023 Bei seiner Angelobung am 26.
Jänner 2023 erinnerte Bundespräsident Alexander van der
Bellen an ein Wort des verstorbenen Innsbrucker Bischofs Reinhold
Stecher: „Das Gute spielt in
dieser Welt seinen Part meist piano und pianissimo. Und es gehört zur
Lebenskunst, es nicht zu überhören.“ Ein kostbarer Satz, den ich mir sofort notiert
habe. Die
Berichte über Skandalöses, Brutales, Gefährliches dröhnen gleichsam an unser
Ohr, sie okkupieren unsere Aufmerksamkeit oder – noch schlimmer – sie
stumpfen uns ab. Dass auch viel Gutes in unserer Welt passiert, tagtäglich,
auch in unserer Nähe, überhören wir da leicht. Das
Gute – christlich gesprochen: das „Reich Gottes“ –
mag oft unscheinbar wie ein Senfkorn sein, aber es ist da und wächst. Ich
habe mir daher vorgenommen, mehr darauf zu achten, es wahrzunehmen und auch
darüber zu reden: der Kassierin im Supermarkt, die
trotz Stress freundlich und hilfsbereit ist, laut zu danken; wenn über einen
Bekannten geschimpft wird, auch das Gute, das ich von ihm weiß, gerne
weitererzählen; bewusst mithelfen, dass jene, die als „Gutmenschen“ für
soziale Wärme in unserer Gesellschaft
sorgen, gewürdigt werden; öfter an jemanden, über dessen Engagement ich mich freue,
ein SMS oder ein Mail schreiben. Es
geschieht viel Gutes in der Welt. Oft leise. Darum der Ruf Jesu: „Wer Ohren
hat, der höre“. (Mt 13,9) Gott ist kein „Hinter-Weltler“,
der seine Welt vergessen hätte, sondern er wirkt in (!) der Welt jeden Tag
durch viele Frauen und Männer. Auch in unserer Nähe. Erzählen wir es weiter. 25.12.2022 „Wir gehen vom
Leben der Menschen aus“ So steht es im Zukunftsbild der katholischen
Kirche Steiermark. Eigentlich ein „weihnachtliches“ Wort. Bischof und Diözese
orientieren sich hier am Weg, den Jesus selbst gegangen ist. Denn bevor er
predigte, Wunder wirkte und Jünger um sich sammelte, wurde er Mensch.
Einfach Mensch. 30 Jahre lebt er in Nazaret. Er erlernt dort nicht nur ein
Handwerk, sondern vor allem das Menschsein. Er erlebt Glück und Unglück
menschlicher Beziehungen, Zärtlichkeit und Gewalt, Enge und Großzügigkeit,
Bigotterie und echte Gottesnähe – und die Mischung von alldem in den Herzen
der Menschen. Er, der sich später mit Vorliebe „Menschensohn“ nennt, wird
zuerst ein verstehender Mitmensch, bevor er andere lehrt. „Wir gehen vom Leben der Menschen aus“. Das heißt dann für uns als Kirche: Auch wir wollen die Menschen um
uns, wie sie leben, arbeiten, denken, lieben … – besser verstehen lernen. Vor
allem auch jene, die sich mit Kirche schwertun, ja es vielleicht schon
aufgegeben haben, von uns überhaupt etwas zu erwarten. Mein Kirchen-Weihnachtstraum: Jeder Mensch, auch
wenn er oder sie „anders“ glaubt, lebt und liebt, bekommt unsere Achtsamkeit.
Nicht weil wir Mitglieder „gewinnen“ wollen, sondern einfach, weil hier ein
Mitmensch ist. Wer es mit Kirche zu tun hat, muss sich nicht mehr verstellen,
sondern darf einfach „sein“. Wenn dann jemand auf Gott neugierig wird, dann
sind wir auch da – unaufdringlich, mitfühlend, geduldig, mit unserer
Glaubens- und Lebenserfahrung. Frohe Weihnachten uns allen! 06.11,2022 Das biblische Wort „Almosen“ (von griechisch eleēmosýnē - Gabe der Barmherzigkeit) hat
keinen guten Ruf mehr. Es ist zu einer Karikatur von Wohltätigkeit verkommen,
im Sinne von: Ich gebe etwas her, was ich nicht mehr brauche oder leicht
verschmerzen kann, und die Armen sollen sich gefälligst darüber freuen und
dafür dankbar sein. Man spürt den Hauch von Hochnäsigkeit und Verachtung.
Oder: Ich gebe schnell etwas her, um mein Gewissen zu beruhigen. Das kann
zwar mitunter einem Armen durchaus helfen, aber es ist nicht das, was die
Heilige Schrift mit „Almosen“ meint. Die Bibel versteht darunter eine Gabe
der Liebe als Antwort auf die Not eines Mitmenschen, die mein Herz trifft.
Ich gebe dabei nicht nur etwas her, sondern wende mich jemandem zu.
„Barmherzigkeit“ ist nichts Gönnerhaftes von oben herab, sondern eine Bewegung
von Herz zu Herz – auf Augenhöhe! Der heilige Martin, der einst mit einem Frierenden
seinen Mantel geteilt hat, wurde auf den ältesten Bildern immer ohne Pferd
dargestellt, also auf gleicher Höhe mit dem Frierenden! Erst später stellte
man ihn hoch zu Ross dar, auf den Bettler herabblickend. Nächstenliebe im
biblischen Sinn bedeutet immer, vom hohen Ross zu steigen. So hat es wohl der
„echte“ hl. Martin getan, der am 11. November seinen Gedenktag hat. Das
sollte man auch bei Martinsfeiern beachten. Ich habe kürzlich einen Spruch entdeckt, den ich
gerne weitergebe: „Man sollte nur dann auf einen Menschen hinabschauen, wenn
er am Boden liegt und man ihm die Hand reicht, um ihm aufzuhelfen.“ In diesem
Sinn einen schönen Martinstag allen Kindern und Erwachsenen! 18.09.2022 Vom 1. September bis zum Franziskustag erinnern
christliche Kirchen besonders an die schützenswerte Schönheit der Schöpfung
und aller Geschöpfe. Kürzlich wurde ich gefragt: Hat Jesus auch Tiere geliebt? – „Seht euch die
Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine
Vorräte in Scheunen ...“ (Mt 6,26) Diese Worte Jesu zeigen, dass er Tiere
liebevoll beobachtet und daraus Lehren zieht. Im konkreten Fall: Es ist
besser, Gott zu vertrauen, als Schätze anzuhäufen. Vergesst vor lauter Sorgen
nicht zu leben! Hat Jesus selbst Tiere besessen? – Eher nicht. Die
Eselin für den feierlichen Einzug in Jerusalem ist jedenfalls nur geborgt. In
seinen Predigten aber tummeln sich viele Tiere: Schafe, Kamele, Wölfe,
Füchse, Schweine, Hunde, Spatzen, Fische usw. Einmal vergleicht er sich
selbst mit einer Bruthenne, die ihre Küken zärtlich unter die Flügel nimmt
(vgl. Mt 23,37). Da spürt man seine Tierliebe. Hat er auch kranke Tiere geheilt? – Späte Legenden
erzählen davon, aber sichere Belege gibt es dafür nicht. Hat er Fleisch gegessen? – Seine Hauptnahrung ist
das Essen armer Leute: Fladenbrot, manchmal etwas Fisch dazu. Asket ist er
keiner. Wird er eingeladen, speist er, was ihm vorgesetzt wird. So rät er
auch seinen Jüngern: „Wenn man euch aufnimmt, so esst, was man euch
vorsetzt.“ (Lk 10,25). Auffällig ist, Jesus dankt immer, bevor er die
Gaben der Schöpfung zu sich nimmt. Nicht alles aus der Zeit Jesu ist 1:1 ins
Heute übertragbar. Aber das schon: Dankbarkeit tut gut. Gier aber macht
unglücklich. Sie zerstört Menschen, Tiere, Pflanzen – Gottes gute Welt. 31.07.2022 Besuchen auch Sie im Sommer gerne alte Kirchen?
Sie sind kühl, ruhig und erzählen von Gott, jede auf ihre Weise. Dass Gott in
ihnen meist als „alter Mann“ dargestellt ist, mag heute befremdlich anmuten.
Schuld daran ist übrigens eine Stelle im Buch Daniel (7,9), die Gott als „Hochbetagten“ beschreibt. Diese
Symbolisierung hat sich später in der christlichen Kunst übermächtig
durchgesetzt. Jesus redet Gott als „Vater“ an, allerdings mit dem aramäischen
Kosewort „Abba“ (lieber Papa). Und er nennt ihn zugleich „barmherzig“. Im
hebräischen Wort für „Barmherzigkeit“ steckt das Wort „Mutterschoß“. Der
Gott, den Jesus verkündet, ist kein unerbittlicher Patriarch, sondern liebt
zärtlicher als der beste Vater und die beste Mutter. Wir können über Gott nur in Bildern sprechen, aber
es müssen nicht nur „Mannsbilder“ sein. Die Bibel bietet eine Fülle von
Bildern und Symbolen an. Freilich gilt immer, was das IV. Laterankonzil 1215
erklärt hat: „Zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf kann man keine so große
Ähnlichkeit feststellen, dass zwischen ihnen nicht eine noch größere
Unähnlichkeit festzustellen wäre.“ Das heißt: Achtung! Jede noch so richtige
Vorstellung von Gott enthält mehr Unrichtiges als Richtiges. Katholische Jugendorganisationen in Deutschland
haben deswegen vorgeschlagen, man möge, wen man das Wort „Gott“ schreibt, es
mit einem Zusatzzeichen versehen: „Gott*“ oder „Gott+“. Ich weiß nicht, ob
sich das durchsetzt, aber zum Nachdenken darf es anregen. Gott ist uns ganz
nahe, aber zugleich alles übersteigend, was wir denken, fühlen und darstellen
können. 16.06.2022 „Geht das, was Jesus wollte, verloren, wenn die
Kirche versagt?“, fragte mich unlängst ein besorgter Freund. Und er zitierte
die Bergpredigt: „Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, womit kann man es
wieder salzig machen? Es taugt zu nichts mehr; es wird weggeworfen und von
den Leuten zertreten.“ (Mt 5,13) Ein hartes Wort! Ja, leider ist die Kirche
für sehr viele Menschen „geschmacklos“ geworden. Warum, ist bekannt:
spirituelle Langeweile, unzulängliche Seelsorge, Reformstau, Frauenbild,
Skandale, mangelnde Teilhabe des Gottesvolkes an Richtungs-Entscheidungen
usw. Die Hierarchie weiß um die Probleme, aber davon werden sie nicht gut;
und einfach „weg-managen“ lassen sie sich auch nicht. Verlorenes Vertrauen
wiederzugewinnen, verlangt viel Demut, Arbeit und klare nachvollziehbare
Entscheidungen. „Geht das, was Jesus wollte, verloren, wenn die
Kirche versagt?“ – Ich habe geantwortet: Nein! Erstens versagt nie die ganze
(!) Kirche. Es gibt in ihr immer Menschen, die das, was mit Jesus begonnen
hat, mit viel Herz, Engagement und Klugheit leben, Tag für Tag, ohne viel
Aufhebens. Und zweitens: Der Geist Jesu ist nicht an die
sichtbaren Grenzen der Kirche gebunden. Oft wirkt er außerhalb und manchmal
wirkt er sogar von außen in die Kirche zurück. Wichtige Erkenntnisse, z. B.
die Menschenrechte, wurden zuerst außerhalb der Kirche forciert. „Alles
Wahre, wer immer es sagt, kommt vom Heiligen Geist“, wusste schon Thomas von
Aquin. Und Augustinus lehrt: „Es gibt keine Liebe, die nicht vom Heiligen
Geist ist.“ Der Geist Jesu wirkt in dieser Welt – trotz Gegenwind. 17.4.2022- Ostersonntag Vor kurzem wurde im Sonntagsblatt eine junge Frau
vorgestellt, die sich als „österlichen Menschen“ bezeichnete. Das hat mich
aufhorchen lassen: Was ist ein österlicher Mensch? Nach einigem Suchen stieß
ich auf diese Antworten: – ein Mensch, der ausgestreckt ist zwischen Erde
und Himmel, zwischen Leid und Jubel, zwischen Karfreitag und Auferstehung. – ein Mensch, der offen ist für Wunder, für den
mit dem irdischen Tod nicht alles vorbei ist, der größte Tiefen durchleiden
kann, ohne den Glauben an Gottes Liebe zu verlieren. – ein Mensch, der andere begleitet, sich ihre
Sorgen anhört, ihnen Herz und Augen öffnet und sich
ihnen selbst verschenkt. Ich empfehle, diese Zeilen von Irmela Mies-Suermann (pfarrblattservice.de) mehrmals zu lesen und
sich zu fragen: Wann bin ich solchen Menschen begegnet? – Mir fallen viele
ein. Nur zwei bereits Verstorbene will ich erwähnen: einen Biologieprofessor,
der nach vielen Krebsoperationen neben mir im Krankenhaus lag und sich trotz
Schmerzen in großer Güte die Sorgen anderer anhörte, und einen Bettler, der
mir an einem heißen Sommertag, weil ich kein Geld bei mir hatte, einige
Münzen mit den Worten zusteckte: „Diesmal zahle ich dir ein Getränk!“ Das bloße Hören der Osterbotschaft bleibt schwach,
das gemeinsame Feiern und fröhliche Schmausen macht Ostern schon spürbarer,
aber am tiefsten bewegt uns „der Lebendige“, wenn wir österlichen Menschen
begegnen. Ostern ist nicht nur ein bewegliches Fest, sondern auch ein
bewegendes. Der Auferstandene hat viele Gesichter. 27.02.2022 „Man soll darüber diskutieren“, sagen Bischöfe oft
ausweichend, wenn sie mit jenen Wünschen nach Kirchenreform konfrontiert
werden, die schon seit Jahrzehnten (theologisch) ausdiskutiert sind und die
ein Großteil der Gläubigen für gut und notwendig hält. Und zwar nicht nur in
Europa, sondern auch in den USA, in Lateinamerika, in Australien und weiten
Teilen der katholischen Weltkirche. Nein, es ist nicht die „Weltkirche“, die
bremst! Aber was ist es dann? Ist es die Sorge um „Einheit“, sprich: um jene
Traditionalisten, die vor jeder Reform mit Schisma drohen? Aber müssten
unsere Hirten nicht viel mehr von der Sorge erschüttert sein, dass sich
Massen von jungen Frauen und Männern resigniert von der Institution Kirche
abwenden, dass immer weniger kluge Köpfe Theologie studieren, dass immer mehr
beherzte Gläubige sich lieber außerhalb der Organisation Kirche als in ihr
für ihre Mitmenschen, für das Gute und damit für Gott engagieren? Sehr ernst nehme ich den Einwand: Wir müssen tun,
was Gott will. Ja, das stimmt. Und genau darum frage ich: Will Gott, dass
seine Kirche wie ein autoritärer Staat geführt wird? Ist Gott wirklich gegen
die Weihe von Diakoninnen, wie sie z. B. gerade die Ostkirche wieder
einführt? Lehnt Gott Verheiratete im Priesterdienst ab? Sind jene Normen der
Sexualmoral, die sich zwar wörtlich beim Stoiker Musonius
Rufus (100 n. Chr.), aber nicht im Evangelium finden, Gottes eiserner Wille? Immer mehr Gläubige spüren: Gott will es anders.
Es ist Zeit zu handeln. 23.01.2022 Masken sind lustig. So empfanden wird das als
Kinder. Gerne versteckten wir uns im Fasching hinter Masken (oder „Larven“,
wie wir damals sagten). Jetzt, in Corona-Zeiten, verbinden wir mit „Maske“
eher eigenartige Gefühle. Der Gedanke an Schutz, aber auch an Hindernis ist
da, eher lästig als lustig. Im Heimatort meines Vaters, so erzählte er, lebte
vor vielen Jahren eine Frau mit schrecklich entstelltem Gesicht. Sie soll
gesagt haben: „Der Faschingdienstag ist für mich
der schönste Tag. Da trage ich eine Maske und bewege mich frei unter
Menschen.“ Eine Geschichte, die mich als Kind tief berührte. Menschen
maskieren oder vermummen sich aus verschiedenen Gründen: Spaß, Angst, Schutz,
Hygiene … Der Gedanke, dass sich auch Gott vermummt, klingt
seltsam. Und doch spricht die Bibel vom „verborgenen Gott“ (Jes 45,15). Er
offenbart sich zwar, aber sein Wesen ist für uns nicht fassbar. Im Alltag
bleibt sein Wirken meist verborgen. „Gottes Mummerei“
nennt das Martin Luther. Gott zu entdecken, bleibt eine Lebensaufgabe des
Menschen. Manche versuchen das in der Schönheit der Natur, andere in Kunst
und Musik, wieder andere in heiligen Schriften und Ritualen. Für
Christenmenschen gilt das Wort Jesu: „Wer mich sieht, sieht den Vater“. (Joh
14,9) Und wenn uns dann auch noch das gelingt, was wir Liebe nennen, kommen
wir Gott in dieser Welt am nächsten. „Niemand hat Gott geschaut, aber wenn
wir einander lieben – bleibt Gott in uns!“ (1 Joh 4,12) Das kann keine Maske
verhindern. 12.12.2021 Schon als Kind – meine Eltern hatten ein Geschäft
mit Trafik – fielen mir die großen Schlagzeilen auf den Zeitungen auf. Von
Verbrechen, Katastrophen, Skandalen war da zu lesen. „Ist die Welt nur
böse?“, fragte ich meine Mutter. „Nein“, meinte sie, „das Böse drängt sich
nur in den Vordergrund und verschafft sich gerne Gehör.“ Und sie zitierte
dazu sogar die Bibel: „Der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe.“ (1Petr
5,8) Wir Menschen sind versucht, dem Bösen besondere
Aufmerksamkeit zu schenken. Angst hat die gute Aufgabe, uns vor realen
Gefahren zu warnen. Sie kann aber auch entgleisen und zum Vergrößerungsglas
für alles Scheußliche werden. Dann wird sie zerstörerisch. Schlimm, wenn
Menschen sagen: „Ich kann nicht mehr an das Gute glauben.“ Ich habe mir vorgenommen, im Advent meinen Blick
für das viele Gute zu schärfen, das tagtäglich ohne viel Tamtam geschieht.
Jesus spricht vom „Reich Gottes“, das uns „nahe“ ist. Näher und kraftvoller,
als wir denken: „Mein Vater ist immer am Werk und auch ich bin am Werk.“ (Joh
5,16) Viele „barmherzige Samariter/innen“ machen unsere Welt menschlicher und
freundlicher, ohne von Gott zu reden. Andere engagieren sich bewusst im Namen
Gottes. So oder so, Gottes Liebe ist am Werk. Und jede/r kann mittun. „Es
gibt immer zwei Wege, um in einer Welt zu leben, die dunkel und voller Tränen
ist: Wir können die Dunkelheit verfluchen, oder wir können ein Licht
anzünden.“ (Großrabbiner Jonathan Sacks) – Ich wünsche Ihnen eine lichtvolle
Zeit! 07.11.2021 Nicht alle in der Kirche freuen sich über die
Synode, die der Papst initiiert hat. Manche wollen „den Ball flach halten“.
Man weiß: Das Kirchenvolk ist geduldig, aber auch unzufrieden. Wird es
gefragt, reagiert es nicht nur harmlos. Nun, der Papst, der auch noch nicht weiß, was bei
der Synode herauskommt, hat zumindest drei Stichworte vorgegeben:
„Gemeinschaft – Partizipation – Sendung“. Kirche, so Franziskus, ist die
bunte Gemeinschaft derer, die getauft sind und an Christus glauben. Nicht nur
die Hierarchie hat das Sagen, sondern alle haben einander etwas zu sagen. Ja,
jede*r ist (!) für die anderen eine Botschaft. Wir sind uns geschenkt und
zugemutet. Und schon viele Jahrhunderte, bevor die Kirche erklärt hat, dass
ein Papst in bestimmten Fällen „Unfehlbares“ verkünden kann, wusste sie, dass
die Gesamtheit der Gläubigen nicht irrt, sondern „unfehlbar“ ist. Für diese
„katholische Schwarmintelligenz“ sorgt der Heilige Geist. Darum braucht es
Partizipation in der Kirche: Teilhabe und Austausch, Zuhören und freimütiges
Reden, gemeinsames Beten und Ringen, Unterscheiden und Entscheiden. So können
geeignete Wege gefunden werden, das Anliegen Jesu heute klarer zu leben.
Damit sind wir beim Stichwort „Sendung“. Es ist nicht Mission der Kirche,
sich selbst zu erhalten, sondern „den Menschen zu dienen“, darunter besonders
den Ärmsten. Nur so bleibt sie Jesus treu. Der Papst nennt auch drei Risiken: „Formalismus“
(man tut so, als ob), „Intellektualismus“ (lebensfremdes Gerede),
„Immobilität“ (Änderungsunwillen). Unterstützen wir den Papst auch in der Steiermark,
werden wir synodaler! 03.10.2021 „Vatikan plant Kirchenreform. Es gilt die
Unschuldsvermutung.“ Dieses boshafte Wort schrieb ich vor vielen Jahren in
mein Notizheft, lange vor dem Amtsantritt von Papst Franziskus. Denn ihm
glaube ich, dass er wirklich Reformen will. Aber gelingen sie? Franziskus ist
ein spiritueller Mensch und spürt oft sehr gut, wie das Korsett von Doktrin
und Kirchenrecht christliches Leben heute hemmt. Aber er ist kein Wojtyła-Papst,
der „von oben herab“ ein neues Kirchenrecht und einen neuen Katechismus
verordnet. Er versucht es mit einer Synode, wobei im Vorfeld möglichst viele
Gläubige zu Wort kommen sollen. Das ist an sich erfreulich, macht aber auch
stutzig. Wie oft wurden die Gläubigen nicht schon befragt?! Unzählige
Fragebögen, Pinnwände und Flipcharts wurden in den letzten Jahrzehnten mit
Vorschlägen gefüllt. „Man hat uns zugehört, aber es hat sich nichts bewegt“,
sagen viele (ehemals) Engagierte. Das Wort „Synode“ bedeutet „gemeinsamer Weg“, also
Beweglichkeit, gemeinsames (!) Suchen nach dem Willen Gottes für unsere (!)
Zeit. Ich denke, Franziskus meint es ernst, wenn er dabei verstärkt auf das
Volk Gottes und dessen „Glaubenssinn“ setzt. Widerstand ist ihm auch sicher,
sollte sich das Machtgefüge ändern. Daher bitte ich alle, denen Kirche
wichtig ist, darunter auch enttäuschte Freunde und Freundinnen: Nehmen wir
die Einladung des Papstes an! Vielleicht schafft es unsere Kirche diesmal
weltweit, (wieder) „synodaler“, geistlicher und menschlicher zu werden. Wer
weiß? 29.08.2021 Kennen Sie das auch: Sie sitzen vor dem Fernseher,
schauen Nachrichten und fühlen sich überfordert? So viel Not in aller Welt:
Klimakatastrophen, Pandemie, Kriege …! Was kann ich da als einzelner Mensch
tun? Mutlosigkeit beschleicht mich. „Da kann man nur beten“, sagte meine
Großmutter in ähnlichen Situationen. Ja, zumindest das kann ich tun,
beschließe ich. Und ich bin überzeugt, ein aufrichtiges Gebet hat große
Kraft. Aber meist kann ich doch noch etwas mehr tun. Und wenn es nur eine
Spende an eine Hilfsorganisation ist, die die Not wenigstens einiger Menschen
lindert. Aber ist das nicht nur ein Tropfen im Ozean? Mutter Teresa sagte
einmal: „Alles, was wir tun, ist nur ein Tropfen im Ozean. Aber wäre dieser
Tropfen nicht, so würde er den Ozeanen fehlen.” Wenn durch meine Spende auch
nur ein Kind überlebt, war sie sinnvoll. Vielleicht wird dieses Kind Arzt und
rettet später viele Leben? Ich weiß es nicht. Liebe soll klug, aber nicht
berechnend sein. Egoisten werden immer einen Grund finden, nichts zu tun.
„Man kann nicht allen helfen, sagt der Engherzige – und hilft keinem.“ (M. v.
Ebner-Eschenbach). Und noch etwas kann ich als Christ in unserem Land
tun. Ich kann mich fragen, welche Politik ich mit meiner Stimme unterstütze.
Wer prahlt mit nationaler Kaltherzigkeit? Beim wem spüre ich, dass ihm die
Not der Ärmsten zu Herzen geht? Wer versteckt sich hinter (änderbaren)
Vorschriften? Wer ist bemüht um das „Menschlich-Mögliche“? – Ich habe die
Wahl. Hin und wieder zumindest. 25.07.2021 Ich jogge in der Früh gerne an der Mur. Es ist für
mich eine gute Zeit zum Beten und Meditieren. Vor ein paar Tagen – ich
bedenke gerade den Satz „geboren von der Jungfrau Maria“ – kommt mir eine
Wallfahrergruppe mit Vortragskreuz entgegen. Es folgt ein freundliches
Gespräch und ich bitte die gut gelaunten Männer und Frauen schließlich, auch
meine Anliegen nach Mariazell „mitzunehmen“. Es gibt viele Gründe, warum sich Menschen pilgernd
auf den Weg machen, aber es ist auffällig, dass das Ziel sehr oft ein
Marienwallfahrtsort ist. Die Mutter Jesu ist bis heute für viele ein
berührendes Bild der Zärtlichkeit Gottes. Vor ihr muss man nicht mit
Leistungen aufwarten; ihr kann man die Wunden des Lebens anvertrauen; sie
hält Zweifel und Unsicherheiten gut aus und ist auch in scheinbar auswegloser
Situation einfach da, schweigt und zeigt uns Jesus. Das alte Wort
„Gnadenbild“ hat hier seinen schönsten Sinn. Die evangelische Theologin Dorothee Sölle hat
einmal geschrieben: „Die Bilder der Muttergottes erinnern uns an unsere
eigenen Sehnsüchte nach einem anderen Leben. […] Sie erinnern uns daran, wie
innerhalb der religiösen Tradition Ängste und Wünsche einfacher Leute
benennbar und darum heilbar wurden, sodass die Welt nicht nur ein
unbegreiflich wirres ‚Getümmel‘ blieb, sondern ein Hinweis auf das Land der
Freiheit, das wir Himmel nennen, wurde.“ Und der Himmel beginnt nicht erst nach dem Tod. Er
wächst schon jetzt in uns und um uns. Ich wünsche Ihnen einen himmlisch guten Sommer. 20.06.2021 „Dass eine Frau
lehrt, erlaube ich nicht!“ (1 Tim 2,12) Dieses mit der Autorität des Paulus
untermauerte Bibelwort hätte Päpste dazu bewegen können, allen Frauen für
immer zu verbieten, öffentlich den Glauben zu verkünden. „Wir sehen uns nicht
bevollmächtigt, das zu erlauben“, hätte ein Papst, auf die Bibel pochend,
sagen können. Zum Glück kam es nie dazu. Man erkannte dieses Wort als
zeitbedingte Anordnung, bestimmten Situationen geschuldet. Ein zeitloses
Verbot wurde nicht daraus. Gott sei Dank! Heute gibt es viele Frauen, die als
Religionslehrerinnen, Seelsorgerinnen, Katechistinnen und Theologinnen im
Auftrag der Kirche das Evangelium verkünden und erklären. Und sie tun es
großteils gut, jedenfalls nicht schlechter als männliche Kollegen. Ihre
Glaubens- und Lebenserfahrungen sind aus dem Leben unserer Kirche nicht mehr
wegzudenken. Ob Frauen auch einmal zum geistlichen Amt geweiht
werden? Ein Bibelwort, das dagegenspricht, gibt es nicht. Und die kirchliche
Tradition kennt zumindest das Amt der Diakonin. Manche Ostkirchen, deren
Sakramente auch von unserer Kirche anerkannt sind, weihen (wieder)
Diakoninnen. Ihre Weihe wird dabei nicht nur als „Segnung“ verstanden, wie
manche westlichen Theologen abwertend meinen. Sie sind nicht weniger
„geweiht“ als männliche Diakone. Die römische Kirche ist hier zaghafter,
definiert „Amt“ und „Sakrament“ oft sehr eng. Die Gründe sind bekannt,
freilich für immer weniger Menschen einsichtig. Bibel und Tradition sind
keine leblosen Betonklötze. Gottes Geist lebt, ermutigt und macht kreativ. -
„Löscht den Geist nicht aus!“ (1 Thess 5,19) 16.05.2021 Es ist geschmacklos, wenn mitten in der
Corona-Krise ein Wiener Innenstadt-Priester in der Zeitung ungeniert von
seinem Wohlstand labert: „Supermärkte kenne ich nur vom Segnen, nicht vom
Einkaufen. Ich wüsste nicht mal, wo ich dort Milch oder Butter finde. Darum
nehme ich zurzeit Essensgeschenke gern an.“ Im Lockdown fallen ja
Abendtermine mit gutem Essen aus. Über seine Köchin, die für den Mittagstisch
sorgt, sagt er: „Fischgerichte waren anfangs nicht ihre Stärke. Ich habe dann
Haubenkoch Manfred Buchinger gebeten, sie unter seine Fittiche zu nehmen.
Nach vier Tagen Crashkurs beherrschte sie schließlich auch die
Fischzubereitung.“ Es geht mir nicht darum, hier einen beliebten
„Seitenblicke-Seelsorger“ mit Steinen zu bewerfen. Der Mann hat auch seine
großen Verdienste. Aber diesmal hat er wohl aus lauter Freude über sich
selbst das Gespür für jene Leser und Leserinnen verloren, die unter der
Pandemie schwer leiden, die um ihren Arbeitsplatz bangen und nicht wissen,
wie sie mit ihrer Familie über die Runden kommen werden. Ich selbst gehöre zu den vom Schicksal Bevorzugten.
Ich beziehe regelmäßig meine Pension, niemand in meiner Familie ist ganz
schwer an Corona erkrankt, niemand vom Jobverlust bedroht. Da vergisst man
allzu leicht die „anderen“. Der Papst hat Recht, wenn er die „Bevorzugten“
und „Krisengewinner“ (auch die gibt es!) auffordert, über die eigene
Schicksalsblase hinauszuschauen, hinauszufühlen und
auch etwas vom eigenen Wohlstand abzugeben. Beherzigen wir seinen Aufruf.
„Liebe deinen Nächsten – er ist Mensch wie du!“ 11.04.2021 Schließlich war auch der skeptische Apostel Thomas
überzeugt: Der Gekreuzigte lebt, er ist auferstanden! – Aber so eine
Botschaft klingt verrückt und gar nicht erfolgversprechend. Denn ein
Gekreuzigter galt damals als von Gott verflucht. Mit einer solchen Message
war nichts zu holen. Man behält sie besser für sich. Außer man macht eine so
tiefe und einmalige Erfahrung, dass man sie nicht verschweigen kann. Pinchas Lapide, der sich als jüdischer Theologe
intensiv mit Jesus beschäftigt hat, ohne selbst Christ zu werden, schreibt:
„Wenn diese verängstigte Apostelschar, die eben dabei war, alles wegzuwerfen,
um in heller Verzweiflung nach Galiläa zu flüchten; wenn diese Bauern, Hirten
und Fischer, die ihren Meister verleugneten und dann kläglich versagten, sich
plötzlich in eine überzeugte Missionsgesellschaft verwandeln konnten, so
genügt keine Vision oder Halluzination, um solch einen revolutionären
Umschlag zu erklären.“ Da geschah etwas Besonderes von Ostern bis
Pfingsten. Ja, hier passt das Wort „Geheimnis“. Denn „Auferstehung“ ist weder
einfach die Wiederbelebung einer Leiche noch bloß das geistige Weiterleben
einer Person, auch nicht nur inneres Erleben der Jünger. Es übersteigt
physikalische, biologische und psychologische Kategorien. Für mich heißt „Auferstehung“: Jesus lebt wirklich
auf neue Weise in Gott, unter uns, in uns! Liebende Augen können mehr und
tiefer sehen. Ich wünsche uns allen solche Osteraugen – und einen schönen
Frühling. 07.03.2021 „Warum schafft Gott die Bösen nicht einfach ab?“,
fragt der kleine Timo seine Eltern. Auch Erwachsene fragen sich manchmal
angesichts des Bösen in der Welt: Warum greift er nicht ein? Wer hat sich
noch nie gewünscht, Gott möge über Nacht die Welt in ein Reich des Friedens
verwandeln? Aber Gott tut das offensichtlich nicht. Er lässt Unkraut neben
dem Weizen wachsen und seine Sonne über Gute und Böse scheinen.
„Zwangsbeglückungen“ sind nicht seine Sache. Erlösung über die Köpfe hinweg
gibt es nicht. Vielmehr wirbt Gott um die Freiheit des Menschen, „redet uns
zu Herzen“, wie die Bibel sagt (Jes 40,2), ruft zur Umkehr, appelliert
an unsere Fantasie für das Gute. So arbeitet Gott. Die Menschen um Jesus, erzählt die Bibel, haben
das auf wunderbare Weise erfahren. Sie begegnen in ihm der Liebe und
Großzügigkeit Gottes und spüren: Unser Leben ist in guten Händen – und die
ganze Welt auch! Diese Erfahrung verändert sie: „Sünder" wagen einen
Neubeginn, Reiche teilen ihre Habe, Kranke werden gesund, Gekrümmte richten
sich auf, seelisch Zerrüttete finden Ruhe und Ausgestoßene Freundschaft. Weil
sie Gott als großzügig erfahren, werden sie selbst großzügig, lernen
verzeihen, verzichten auf Rache und Gewalt. Wer sich auf Jesus einlässt,
erfährt die vielfältige Kraft des Guten. Auch heute. Ich wünsche dem kleinen
Timo und uns allen Verständnis für den Weg Gottes in
der Welt. Gehen wir mit. „Wir können täglich Böses in Gutes verwandeln.“
(Papst Franziskus) 31.01.2021 Auf die Frage, was ihm persönlich im Leben
Orientierung gebe, antwortet der renommierte Quantenpysiker Anton Zeilinger
in einem FURCHE-Interview (30.11.2020): „Die Überzeugung, dass es etwas
Transzendentes gibt. Manche Menschen nennen das Gott,
oder wie auch immer. Für mich ist das sogar mehr als eine Überzeugung,
nämlich eine wichtige Erfahrung meines Lebens: dass die Welt nicht nur
materiell ist. Diese Erfahrung habe ich interessanterweise schon immer
gehabt. In meinem Leben gab es keinen Moment ohne Gott.“ Und auf die
Zusatzfrage zum Verhältnis Wissenschaft und Religion meint er: „Vereinfacht
gesagt lassen sich die Spannungen zwischen Wissenschaft und Religion darauf
zurückführen, dass beide Seiten ihren Kompetenzbereich überschreiten: Wenn
etwa Naturwissenschaftler behaupten, sie könnten die Evolution restlos
erklären, übersehen sie, dass sie den Zufall […] eben nicht erklären können.
Auf der anderen Seite nehmen religiöse Fundamentalisten die Bibel
wortwörtlich […]. In Wahrheit ergänzen Wissenschaft und Religion einander.“
Zeilinger wirbt immer wieder für das Gespräch zwischen Naturwissenschaft und
Kirche. Auch wissenschaftlich gebildete Menschen suchen Spiritualität. Leider
fehlt es in der Kirche oft an geeigneten Gesprächspartner*innen. Die Kirche
verbraucht derzeit (zu) viele Kräfte für Selbstorganisation und
Reform-Widerstand. Der Ruf Jesu ist da leicht zu überhören: „Suchet zuerst
das Reich Gottes – alles andere wird euch dazugegeben!“ (Mt 6,33/Lk 12,31) 20./27.12.2020 Eine befreundete Lehrerin hat mich darauf
aufmerksam gemacht: Das Jugendwort 2020 ist „lost“. Mit diesem englischen
Wort bezeichnen Jugendliche jemanden, der unsicher, planlos, überfordert,
verloren, also irgendwie neben der Spur ist. Wer „lost“ ist, steht daneben -
in Schule, Sozialkontakt, Arbeit oder überhaupt im Leben. Kennen auch Sie
dieses Gefühl, „lost“ zu sein? Die Bibel erzählt: Jesus ist gekommen, „zu suchen
und zu retten, was verloren ist“ (Mk 2,17). Die, die „lost“ sind, haben einen
besonderen Platz in seinem Herzen. Wer meint, ganz in Ordnung oder gar
moralisch besser zu sein als andere, wird Jesus kaum verstehen. Wer aber auch
in sich das Verlorene spüren kann und weiß, dass er Heilung braucht, ist – so
Jesus – Gott schon nahe. „Welt ging verloren, Christ ist geboren“, singen
wir in einem Weihnachtslied. Dort, wo wir das Dunkle, Unglückliche, Verlorene
in uns anerkennen und der Güte Gottes anvertrauen, kann aus Unheil Heil
werden – für uns und für andere. Gott geht dabei oft auch Umwege mit den
Menschen. Die Bibel ist voll von solchen Beispielen. In einer schwierigen
Lebenssituation tröstete mich einmal ein Seelsorger: „Dort, wo du dich am
wenigsten magst, ist Gott dir besonders nahe. Und wenn du nichts mehr mit dir
anfangen kannst, will er etwas Neues in dir beginnen.“ Dafür ist Jesus
geboren, dafür hat er gelebt und geliebt „bis zur Vollendung“ (Joh 13,1).
Verlorenes kann gefunden, Zerbrochenes heil werden. Das zu hoffen, heißt
Weihnachten feiern. 15.11.2020 Die Krankenhausseelsorgerin betritt das Zimmer.
Nein, er brauche keine Seelsorge, sagt der Patient. Aber dann wird doch ein
tiefes Gespräch daraus, „weil sie“, wie er später anerkennt, „so ein offener
lieber Mensch ist und etwas vom Leben versteht“. Ein Priester schreibt mir, er ärgere sich über
gewisse kirchliche Verordnungen, aber die Begegnung „mit den Menschen vor
Ort“ mache ihm täglich viel Freude. „Die Leute“ sind ihm wichtig. Eine Religionslehrerin zeigt mir mit Begeisterung
ihre gründlichen Vorbereitungen für den Unterricht: „Ich habe junge Menschen
so gerne.“ Viel Herzblut fließt in ihre Arbeit. Drei Menschen, die stellvertretend für viele
stehen, die beruflich im Auftrag der Kirche arbeiten und es mit Herz,
Klugheit, Fantasie und wachem kritischen Geist tun. Sie sind nicht immer
bequem, aber voll Feuer. Ihnen gelten heute meine besondere Aufmerksamkeit
und mein Dank. Die wichtigste Aufgabe kirchlicher Führungskräfte sollte es
sein, solche Menschen aufzuspüren und zu fördern. „Homo factus est“, heißt es im Großen Credo über Jesus: „Er ist Mensch
geworden“. Bevor er ein Wort gepredigt oder ein Wunder gewirkt hat, ist er
unser Mitmensch geworden. So beginnt Erlösung. Von Mensch zu Mensch. Das ist
der Weg Gottes. Nur wer die Menschen gern hat, kann mit Ihnen Gott entdecken.
Gute Seelsorgerinnen und Seelsorger wissen das und arbeiten so. Ob die Kirche
als Organisation dadurch wieder rasch an Ansehen gewinnt, weiß ich nicht.
Aber das Reich Gottes wächst so – unaufhaltsam. 11.10.2020 „Sie haben mir ihre Lebens- und
Glaubensgeschichten erzählt. Das hat mich bewegt, weil ich gemerkt habe,
welch ein Ringen da stattfindet. Sie wollen Christen sein und ihren Glauben
auch in der Kirche leben. Und da will ich sie nicht alleine lassen.“ Das sagt
Bischof Heinrich Timmerevers (Dresden) nach
mehreren intensiven Begegnungen mit schwulen, lesbischen, bi- und
transsexuellen Gläubigen in seiner Diözese. Er will die Seelsorge für die
Lebenssituation dieser Gläubigen sensibilisieren und plädiert auch dafür,
gleichgeschlechtliche Paare zu segnen: „Man muss sich natürlich über die Form
Gedanken machen. Aber grundsätzlich würde ich solch eine Öffnung begrüßen.“
Dieses Bemühen des Bischofs stößt bei manchen Kollegen und Kirchenmitgliedern
allerdings auch auf Befremden und Widerstand. Denn die moraltheologische
Tradition der Kirche hat Homosexualität verworfen, oft verteufelt, zumindest für
krank erklärt. Die Bibelstellen, auf die man sich dabei berufen hat, haben
wenig mit dem zu tun, was wir heute „gleichgeschlechtliche Liebe“ nennen,
sondern betreffen homosexuelle Vergewaltigung, blinde sexuelle Gier, Sex mit
Abhängigen usw. Darauf hat schon vor vielen Jahren Kardinal Martini
hingewiesen. Jesus selbst hat bekanntlich zu diesem Thema nichts gesagt. Die
katholische Kirche – so Timmerevers – wird sich
aufgrund neuer Einsichten „neu positionieren“ müssen (wie sie es auch in
anderen ethischen Fragen schon getan hat). Ich meine, der Bischof von Dresden
verdient es, gehört zu werden. 06.09.2020 Sie wurde zwar evangelisch getauft, fühlte sich
aber schon früh als Atheistin und lebte auch so. Erst heftige Angriffe auf die
Religion durch fanatische Atheisten weckten in ihr das Interesse an Glaube und Kirche. Sie wollte sich ihre eigene Meinung
bilden. 2018 ist Meike Kröger dann katholisch geworden. Viele Bekannte
verstehen diesen Schritt nicht, da Meike nach wie vor den Demokratie-Mangel
in der katholischen Kirche kritisiert und die Priesterweihe für Verheiratete
und Frauen für überfällig hält. Wie kam es also zum Kircheneintritt? „Ich nahm Kontakt zu Menschen auf, die in der
Kirche aktiv sind“, erzählt sie katholisch.de: „Mitarbeiterinnen,
Mitarbeiter, Ordensmenschen, Priester. Etliche meiner Vorurteile sind
zusammengefallen, weil ich gemerkt habe, dass es so viele engagierte,
bodenständige Menschen waren und sind, klug und kritisch. Dann kam eine
persönliche Krisenzeit durch Krankheit und Tod in meiner Familie. Da suchte
ich erstmals in diesem Umfeld Unterstützung. Meine skeptisch-atheistische
Haltung wurde akzeptiert, und ich fühlte mich nie religiös vereinnahmt,
sondern frei, meinen eigenen Zugang zu suchen. So hat sich das entwickelt.“ Mit ihrem Kircheneintritt ist sie nicht unkritisch
geworden. Sie versteht auch Menschen, die austreten. Überzeugt hat sie nicht
der Katechismus, sondern Gläubige, die das Leben ihrer Mitmenschen ernst
nehmen. „Wir gehen vom Leben der Menschen aus“, steht im
Zukunftsbild unserer Diözese. – In Gottes Namen, das wär’s! 02.08.2020 Wieder einmal ist ein Dokument aus Rom gekommen.
Diesmal eine Instruktion über Pfarre und missionarische Seelsorge aus der Kleruskongregation. Nicht, dass ich mir davon besondere
neue Impulse erwartet hätte, aber ein bisschen mehr Mut wäre schon schön gewesen. Das Schreiben enthält durchaus stimmige
Zeitanalysen und viele wunderbare Zitate von Papst Franziskus, die ich voll
mittragen kann. Aber es ist wie so oft bei Mutter Kirche: Man redet gern von
Reform, von „pastoralem Miteinander“ und neuen Wegen der Seelsorge – aber
eines darf sich dabei nicht ändern: das Kirchenrecht. Und auf keinen Fall die
Vorrechte des Klerus. Laien sollen ihre finanziellen Beiträge leisten
und dürfen in der Kirche mitarbeiten bis zum Umfallen, aber letztlich will
man nur, dass sie „den Priester in seiner Arbeit unterstützen“. Wirklich
mitentscheiden oder kirchliche Macht kontrollieren dürfen sie (noch) nicht. Nur wenn die Kirche durch Fehler der Hierarchie
bereits an die Wand gefahren worden ist und man doch nicht aufgeben will,
wenn Arbeit ansteht, für die schon lange geeignete und sogar ungeeignete
Priester fehlen, dann wird betont: Wir alle sind Kirche! Geht es aber um lang
erwünschte Reformen des Kirchenrechtes, damit wirklich Neues möglich wird,
gilt noch immer: Kirche ist Amt. Übrigens: Was die Rechte aller Getauften angeht,
ließe sich von orthodoxen und evangelischen Geschwistern viel lernen. Ja, das waren diesmal zornige Zeilen. Ich hoffe,
sie spüren auch die Sorge und Liebe dahinter. 28.06.2020 Wer das Wort „Twitter“ hört, denkt rasch an
US-Präsident Donald Trump. Er nützt dieses weltweite öffentliche Nachrichtenmedium
exzessiv, um seine Sprüche loszulassen, (nachweislich) oft verlogen und
inhuman. Schamlos spannt er dafür auch Gott und die Bibel vor seinen
politischen Karren. Aber auf „Twitter“ findet man auch andere Stimmen,
leisere, zutiefst menschliche. So „twitterte“ am 28. Mai eine junge Frau: „Vor wenigen Wochen haben mein Mann und ich einen
Säugling mit Downsyndrom adoptiert. Seither bekommen wir von vielen Seiten zu
hören, wie bewundernswert wir wären… Ich weiß natürlich die Anerkennung und
den Respekt zu schätzen. Allerdings hat das Ganze für mich auch einen weniger
schönen Beigeschmack. Wir sind keine Helden oder Heiligen. Wir haben einfach
nur ein Baby adoptiert. Ein Baby mit einem kleinen Extra, aber dennoch ein
Baby wie jedes andere. Letztlich ist es immer mutig, ein Kind großzuziehen…
Hätten wir ein leibliches Kind bekommen, wäre es vielleicht auch mit einer
Behinderung auf die Welt gekommen. Dann hätten wir es genauso angenommen…
Und: kein Kind ist perfekt. Wir jedenfalls sind sehr glücklich mit unserem
Baby.“ Ich weiß nicht, ob diese Frau religiös ist. Sie
erzählt einfach, wie sie lebt und liebt. Sie trägt weder ein Kreuz, noch eine
Bibel, noch einen „Pro-Life“-Slogan vor sich her, aber sie hinterlässt in mir
den Eindruck: Das hat viel mit dem zu tun, was Jesus „Reich Gottes“ nennt. Ich wünsche Ihnen allen einen schönen Sommer -
voller Leben! 24.05.2020 Krisensituationen regen die Phantasie an. Und das
ist zunächst einmal gut. Menschen entwickeln erstaunlich gute Ideen, um sich
und anderen zu helfen, Not zu lindern, Krankheiten zu besiegen usw. Aber es gibt auch die dunkle Seite:
Verschwörungsphantasien. Beim Brand Roms bezichtigte Nero die Christen, Feuer
gelegt zu haben; in der Pestzeit beschuldigten Christen die Juden, Brunnen zu
vergiften; am Anfang der Neuzeit verurteilten katholische und protestantische
Richter Hexen als Ursache für Unwetterkatastrophen. Ja, zu jeder Zeit
(er)fand man für Unglücksfälle, die man nicht durch beweisbare Fakten klären
konnte, Schuldige: die Jesuiten, die Protestanten, die Freimaurer, den
Vatikan… - und immer wieder die Juden. Dass auch die Corona-Pandemie nicht nur konstruktive
Energien, sondern bei manchen Menschen dunkle Phantasien freisetzen wird, war
von Anfang an klar. (Dass sich dazu auch einige Bischöfe und Kardinäle
hinreißen ließen, hat mich dennoch verwundert.) Rasch sind
Überzeugungsgemeinschaften entstanden, die sich als Opfer dunkler Mächte
wähnen und mit Eifer Feindbilder zimmern. Und es gibt andere, die Ängste
politisch nützen. Als Christ erinnere ich mich in Krisenzeiten gerne
an das Jesuswort: „Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung
geratet!" (Mk 14,38) WACHT! – also träumt nicht, seid nüchtern, prüft
Fakten, seid realistisch und kritisch! Und BETET! – vertraut in jeder
Situation Gott, bittet um klaren Verstand, um Phantasie und Kraft zum Guten!
So widersteht ihr der Versuchung, andere zu dämonisieren, euch unkritisch
Führern zu unterwerfen oder gar zu verzagen. 19.04.2020 Ich mag ehrliche Atheisten. Dazu gehört die
Schriftstellerin Simone de Beauvoir (+1986). Konsequent denkt sie ihren
Unglauben zu Ende und gesteht in ihren Memoiren: „Manchmal ist mir der
Gedanke, mich ins Nichts aufzulösen, genauso abscheulich wie früher. Voller
Melancholie denke ich an all die Bücher, die ich gelesen, an all die Orte,
die ich besucht habe, an das Wissen, das sich angehäuft hat und das nicht
mehr da sein wird. Die ganze Musik, die ganze Malerei, die ganze Kultur, so
viele Bindungen: plötzlich bleibt nichts mehr ... Nichts wird stattgefunden
haben.“ Wenn Ostern nur ein schönes Frühlingsfest ist und
keine tiefere Wahrheit über Tod und Leben enthält, muss ich mich mit einem
letzten Blackout abfinden. Nein, es ist keine Selbstverständlichkeit, an die
Auferstehung zu glauben. Nicht nur Thomas hatte da Probleme. Auch von den
anderen Aposteln heißt es noch 40 Tage nach Ostern: „Einige aber hatten
Zweifel.“ (Mt 28,17) Ich brauche wohl ein liebendes Herz wie Maria
Magdalena, um jenen Gott zu „finden“, der die Lebensgeschichte meiner Lieben
und auch meine Lebensgeschichte im Tod auffängt, sie heilt und vollendet.
Doch auch hier höre ich: „Halte mich nicht fest!“ (Joh 20,17) „Der Glaubende wie der Ungläubige haben, jeder auf
seine Weise, am Zweifel und am Glauben Anteil. Keiner kann dem Zweifel ganz,
keiner dem Glauben ganz entrinnen.“ (Joseph Ratzinger) So gehe auch ich
meinen Weg mit Glaubens- und Unglaubenszweifeln –
voll Hoffnung und voll Sehnsucht nach dem Gott des Lebens. Das war heute sehr persönlich von mir. Aber Ostern
geht nicht anders. Schönen Weißen Sonntag! 15.03.2020 Nein, das Frauenbild, das mein Lieblingspapst im
Schreiben Querida Amazonia skizziert, ist gut gemeint, aber überzeugt mich nicht. Meine
Großmutter (*1908) hätte es noch bejaht, meine Mutter (*1930) schon bezweifelt, jüngere Frauen lehnen es ab, auf einen
„weiblichen Stil“ fixiert zu werden. Dass Frauen nach dem Vorbild Mariens
Gottes Zärtlichkeit leben sollen, ist zwar gut und schön, aber gilt das nicht
auch für Männer? Und die Sorge, durch eine Weihe würden Frauen gefährlich
„klerikalisiert“, klingt seltsam. (Übrigens wurde in früherer Zeit auch Maria
als Priesterin verehrt und im Messkleid dargestellt, ehe Rom das 1916
verbot.) Mut macht hingegen, was der Papst andernorts
gesagt hat: „Seit Paul VI. Teresa von Avila und Katharina von Siena zu
Kirchenlehrerinnen erhoben hat, kann kein Zweifel mehr daran bestehen, dass
Frauen die höchsten Stufen der Glaubensweisheit erreichen können.“
(Ratzinger-Preis-Verleihung 2018) Zum größten Teil und zum Hauptinhalt (!) von
Querida Amazonia sage ich dankbar ja: „Ich träume von einem Amazonien, das für die Rechte der Ärmsten kämpft... Ich träume von
einem Amazonien, das seinen charakteristischen kulturellen Reichtum
bewahrt...Ich träume von einem Amazonien, das die
überwältigende Schönheit der Natur eifersüchtig hütet... Ich träume von
christlichen Gemeinschaften, die in Amazonien der Kirche neue Gesichter mit amazonischen Zügen schenken.“ Hier spüre ich den
Herzschlag des Papstes. Das schmeckt nach Zukunft. Hier verstehe ich ihn und
folge ihm gerne. 02.02.2020 Als der heilige Karl Borromäus 1570 als
zuständiger Bischof die Schweiz besuchte, stellte ihm der Pfarrer von Altdorf
stolz seine acht Kinder vor. Das ist nur eines von vielen Beispielen dafür,
dass sich der Priester-Zölibat in der Kirche nie ganz durchgesetzt hat,
obwohl Päpste sich bemüht haben, ihn gesetzlich abzusichern, und bis heute
viele engagierte Priester nach dem Vorbild Jesu glaubwürdig im Zölibat leben.
2019 hat nun die Amazonien-Synode mit großer
Mehrheit Papst Franziskus gebeten, für priesterarme Gebiete am Amazonas auch Verheiratete zur Weihe zuzulassen.
Kardinal Sarah bezeichnet dieses Ansinnen als „pastorale Katastrophe“. Auch
andere Gruppen, vor allem in den USA, sehen in jeder „Aufweichung des
Zölibates“ den Untergang der römisch-katholischen Tradition. Verschwiegen wird dabei oft, dass schon Pius XII.
(+1959) Verheiratete zur Priesterweihe zugelassen hat, nämlich konvertierte
evangelische Pfarrer. Das ist seither gängige Praxis, wenn verheiratete
Pastoren katholisch werden. Wenn es nun gut römisch ist, jemanden aus
„persönlichen Gründen“ von der Zölibatspflicht zu befreien, kann eine solche
Befreiung aufgrund großer pastoraler Not nicht un-katholisch
sein. Freilich fürchten manche, das Amazonas-Beispiel könnte Schule machen –
auch bei uns. Auszuschließen ist das nicht. Österreichs Bischöfe sagen zwar,
dass wir keine Priesternot haben, aber das Kirchenvolk sieht das oft anders. Braucht auch Österreich neue Wege? Welche Wege
zeigt uns Gott? Was denken Sie? 15.12.2019 „Katholisch“ wird heute meist nur als
Konfessionsbezeichnung verwendet. Ursprünglich bedeutet dieses Wort:
universal, offen für alle, aus der Fülle Gottes lebend. In diesem Sinn war Jesus
ohne Zweifel katholisch. „Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen“, sagt
das Johannesevangelium (1,16). Und als Christ glaube ich: Jesus hat uns
Menschen alles gebracht, was wir brauchen, um sinnvoll glauben, leben und
lieben zu können. Unsere Kirche ist immer nur in abgeleiteter Weise
katholisch. Sie hat den Auftrag, die in Christus geschenkte Fülle allen
Menschen aller Zeiten und Orte weiterzugeben und vorzuleben. Dass sie dabei
oft auch engstirnig geworden ist und die Lebenswirklichkeit der Menschen
nicht immer hinreichend respektiert, trübt ihre praktische Katholizität. Das Katholisch-Sein lässt sich auch nicht zwischen
zwei Buchdeckeln eines Katechismus einfangen und für immer festschreiben,
sondern ist lebendige Tradition, die das Alte von Zeit zu Zeit kritisch
prüft, das Beste und Schönste davon bewahrt, aber auch Neues zulässt und
mutig integriert: neue Formen der Spiritualität, des Gottesdienstes, der
Lebensgestaltung und Beziehungskultur, der Seelsorge, der kirchlichen Ämter
und Dienste. Wir haben das Evangelium in seiner Fülle noch längst nicht
ausgeschöpft. „Stückwerk ist unser Erkennen“, sagt Paulus (1 Kor 13,9). Es
gibt noch so vieles zu entdecken – für die Kirche als ganze und für mich
persönlich. Insofern ist „katholisch“ ein Zukunftswort. Ich bin gern
katholisch. 03.11.2019 Viele Eltern und Großeltern leiden darunter, dass
ihre Kinder und Enkelkinder mit Kirche und Gottesdienst wenig anfangen
können. In ihnen brennt die Frage: Was haben wir in der Erziehung falsch
gemacht? Gutgemeinte Predigten, die vor allem die Familie für das, was man
„Glaubensverlust“ nennt, verantwortlich machen, gießen Öl ins Feuer – und
sind selten hilfreich. Ja, junge Leute gehen heute oft andere Wege. Das
hat viele Gründe und liegt meist nicht an den Eltern. (Auch Eltern früherer
Generationen waren keine Engel.) Die Welt ist anders geworden. Den Jungen
stehen heute viele Sinnangebote und Lebenshilfen offen. Familie und Freunde
stehen hoch im Kurs, aber Kirche gilt als unbeweglich, lebensfremd, oft auch
heuchlerisch und – besonders schlimm für junge Leute – langweilig und fad. Warum das so ist, darüber müssen sich vor allem
jene den Kopf zerbrechen, die für die offizielle Gestalt der Kirche
verantwortlich sind. Sind unsere jungen Leute gottlos? Karl Rahner hat einmal gesagt: „Es ist nicht so
leicht, Jesus Christus zu entgehen. Denn es wird offenbar werden, dass viele
ihn im Geringsten seiner Geschwister gefunden haben, ohne ihn beim Namen
nennen zu können.“ Und tatsächlich, ich staune immer wieder, wie
viele junge Menschen sich für Mitmenschen in Not engagieren. Ohne es zu
ahnen, arbeiten sie für das „Reich Gottes“, für das Wachstum der Liebe Gottes
in unserer Welt. Nein, sie sind nicht gottlos. Und die Kirche? Sie ist nicht
„geistlos“. Wandlung und Erneuerung sind möglich. 22.09.2019 Ja, ich ärgere mich, wenn Politiker kritikwürdige
Machenschaften oder gar unmenschliche Verhaltensweisen ihrer Partei oder
Gefolgschaft damit rechtfertigen, dass dadurch das Gesetz ja nicht verletzt
worden sei. Es scheint für sie okay zu sein, Gesetze auszureizen, ja sogar zu
übertreten, wenn keine spürbaren Sanktionen zu befürchten sind. Einer meiner
Religionslehrer hat einmal gesagt: Man kann alle staatlichen Gesetze halten
und doch ein Schuft sein! Ich wusste damals nicht, wie recht er hatte. Und
nie hätte ich mit 15 gedacht, dass mir Worte wie „Moral“ und „Anstand“ noch
einmal so wichtig werden. Liebe Politiker und Politikerinnen, es reicht mir
nicht, dass ihr nicht kriminell werdet! Auch wenn Hartherzige und
Gedankenlose das Wort „Gutmensch“ zum Schimpfwort gemacht haben, erwarte ich
von euch, dass ihr Gut-Menschen sein wollt: Menschen, die nicht nur nach
Umfragen schielen, sondern nach bestem Wissen und Gewissen (!) das Gute
suchen, trotz Gegenwind andere davon zu überzeugen versuchen und es
schließlich auch klug umsetzen. Wen ich wählen werde? Meine Stimme will ich jenen geben, denen ich
zutraue, dass ihnen die Bewohnbarkeit unseres Planeten als „gemeinsames Haus“
ein ehrliches Anliegen ist, die sich tapfer für Menschenrechte und ein
konstruktives Miteinander von Menschen verschiedener Herkünfte, Kulturen und
Religionen einsetzen und die in ihrer Praxis eine Vorliebe für die Ärmsten in
unserem Land und in aller Welt erkennen lassen. Noch habe ich Zeit zum Nachdenken. 11.08.2019 Sie sind Frauen, tragen Mitra, Bischofsstab und
Bischofsring und leiten im Auftrag des Papstes eine Diözese: die Äbtissinen von San Benedetto in Conversano
(Apulien). Vom 13. Jahrundert bis 1810 bestellen
sie wie ihre männlichen Bischofskollegen Pfarrer, wachen über die Seelsorge,
erteilen Beicht- und Predigtvollmacht und – auch das kommt vor –schicken
straffällig gewordene Kleriker ins Gefängnis. Frauen mit bischöflicher
Leitungsvollmacht – und das alles ganz katholisch! Kein Einzelfall. Quer
durch Europa gab es an die 40 Abteien, an deren Spitze Frauen standen, die
zwar keine Priesterweihe hatten, aber Diözesen leiteten und denen Pfarrer
Gehorsam versprechen mussten. Eine fast vergessene 1000-jährige katholische
Tradition, die erst im 19. Jahrhundert ihr Ende fand. Daran erinnerte der Kirchenhistoriker Hubert Wolf
vor rund einem Monat in einem Beitrag des Bayerischen Rundfunks. Natürlich
lassen sich solche historischen Modelle nicht einfach wiederbeleben – und
dafür plädiert Wolf auch nicht – aber die Kirchengeschichte zeigt zumindest,
dass es dogmatisch nicht unmöglich ist, Frauen auch sehr hohe
Leitungsvollmacht in der katholischen Kirche zu geben, sogar über geweihte
Männer. Die Tradition der katholischen Kirche ist viel
weiter und bunter, als „Traditionalisten“ meinen. Vor allem ist sie lebendig.
Sie endet auch nicht mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Es lohnt sich
nachzudenken: Was will der Heilige Geist heute von uns? Wo dürfen, ja müssen
wir als katholische Kirche auch neue Wege einschlagen? Der „Große Frauentag“ am 15. August könnte eine
Ermunterung dazu sein. 30.06.2019 Noch vor einigen Jahren kritisierte ein
Theologieprofessor, unsere Diözese würde Kirchenbeiträge „verschwenden“, weil
sie sich für „Umweltschutz“ engagiere: „Das hat doch nichts mit dem
Evangelium zu tun.“ Benedikt XVI. sah das damals schon anders. Er erklärte:
Schöpfungsverantwortung gehört zum Christ-Sein! Nächstenliebe, besonders die
Liebe zu den Ärmsten, ist nicht vom Einsatz für eine bewohnbare Erde zu
trennen. Denn am meisten leiden die Armen unter Umweltverschmutzung und
Klimawandel. Und letztlich – das wird vor allem jungen Menschen immer klarer!
– geht es um unser aller Überleben. Die Erde ist in Gefahr: unser
„gemeinsames Haus“, das wir alle brauchen, ob Konzernchef oder Arbeiterin,
Christ oder Muslima, Wohlstandsbürger oder Asylsuchende, Leistungsträger oder
Auf-Hilfe-Angewiesene, Mensch oder Tier. Deshalb predigt Papst Franziskus
unermüdlich „ökologische Umkehr“ (Laudato si 216-221). Erst kürzlich beschwor
er Top-Manager der Energieversorgung: „Wir können uns nicht den Luxus
erlauben, zu warten, dass andere den ersten Schritt machen, oder
kurzfristigen wirtschaftlichen Vorteilen Priorität einzuräumen. Die
Klimakrise verlangt von uns entschiedenes Handeln, hier und jetzt, und die
Kirche ist voll dabei, ihren Teil beizutragen.“ – Ich gebe zu, dass ich
persönlich oft nachlässig bin. Ich neige nicht zum „Öko-Fundi“, aber ich will
künftig mehr Schöpfungsverantwortung zeigen: beim Einkaufen, bei Urlauben, in
der gesamten Lebensführung und an der Wahlurne. 19.05.2019 „Evangelisieren“
ist fast ein kirchliches Modewort geworden. Manche denken dabei an bessere
Glaubensinformation, mehr Katechesen, mehr religiöse Events. Das alles ist
wichtig. Aber vielleicht ist von uns, denen das Evangelium am Herzen liegt,
viel Alltäglicheres verlangt. Papst Franziskus, der oft von Evangelisierung
spricht, hat die Frage, was er darunter verstehe, in einer Predigt
(10.09.2016) so beantwortet: „Hingehen und das Leben der anderen teilen, sie
begleiten, sie auf dem Glaubensweg begleiten, sie auf dem Glaubensweg wachsen
lassen." Das klingt nach Mitmensch-Sein, Alltag und Geduld. Einem
eifrigen Jugendlichen, der beim Weltjugendtag in Krakau wissen wollte, was er
seinem atheistischen Freund nun sagen solle, damit dieser gläubig würde,
antwortete Franziskus: „Gar nichts sagen, sondern handeln! Evangelisieren
heißt nicht, an die Tür des Nachbarn zu klopfen und zu sagen: Christus ist
auferstanden! – Evangelisieren heißt, den Glauben zu leben, erst später in
Milde über ihn zu sprechen, ohne das Verlangen, irgendeinen zu
überreden." Was
bewegt heute Menschen, sich mit Evangelium und Christentum auseinanderzusetzen?
„So schlecht ist eure Botschaft ja nicht“, sagte mir kürzlich eine skeptische
junge Frau, „aber wo wird sie gelebt?“ Eine andere Frau begründete mir ihre
Sympathie zur Kirche so: „Ich habe in meinem Leben viel erlitten. Aber wenn
ich von der Kirche etwas gebraucht habe, bin ich immer gut behandelt worden.“
So alltäglich kann Evangelium passieren. 07.04.2019 Warum
nennen wir die Kirche im Glaubensbekenntnis „heilig“? Sicher behaupten wir
damit nicht, unsere geistlichen Hirten und wir Kirchenmenschen seien stets
moralisch einwandfrei. Das wäre blanker Hochmut! „Auch in unserer Zeit weiß
die Kirche, wie groß der Abstand ist zwischen der von ihr verkündeten
Botschaft und der menschlichen Armseligkeit derer, denen das Evangelium
anvertraut ist.“ So hat es das Zweite Vatikanum formuliert (Gaudium et spes 43). Ich
nenne die Kirche „heilig“, weil sie ihr Leben Jesus Christus verdankt und
weil er ihre eigentliche Mitte ist. Sein Heiliger Geist sorgt dafür, dass
trotz menschlichen Versagens in der Kirche das Licht des Evangeliums nie ganz
erlischt; dass in den Sakramenten, von fehlerhaften Menschen gefeiert, auch
heute Christus lebt und wirkt; dass es neben einigen korrupten und vielen
„durchschnittlichen“ Kirchenleuten immer wieder Männer und Frauen gibt, die
ihr Christ-Sein ganz ernst nehmen und zu großherziger Liebe fähig sind. Ich
entdecke gerade im „einfachen“ Kirchenvolk so viel Glaube, Hoffnung und
Nächstenliebe! An diesen Demütigen richte ich mich oft geistig auf. Sie
zeigen mir, dass Gott seine Freude an der Kirche nicht verloren hat. Einer
von ihnen hat mir einmal gesagt: „Der Weinskandal hat uns geholfen, dass
unser steirischer Wein heute Topqualität hat. Möge der Macht- und Sex-Skandal
der Kirche helfen, dass sie christlicher wird.“ Der Mut zu tiefgreifender (!)
Reform fehlt oft noch. Aber die Chance ist da. Auch deshalb nenne ich die
Kirche heilig. 24.02.2019 Zu oft
und zu schnell gab die Kirchen-Führung dem „Zeitgeist“ oder dem „lauen
Kirchenvolk“ die Schuld, wenn sie die „Entchristlichung“ der Gesellschaft und
die leerer werdenden Kirchenbänke beklagte. Nur selten hörte man ein Wort der
Selbstkritik. Auch maßvolle Reformwünsche von „unten“ wurden abgeblockt,
„lästige“ Kritiker abgewimmelt, Beschwerden bagatellisiert. Erst
das massive nicht enden wollende Auffliegen von sexuellen und anderen
Macht-Missgriffen bringt jetzt Bewegung in die Mauer der Bischöfe und
Kardinäle. „Konservative“ und „Progressive“ unter ihnen beginnen laut
nachzudenken und fragen ernsthaft: Bedarf hierarchische Macht nicht doch stärkerer
Kontrolle? Wäre es nicht Zeit für ein ernstgemeintes Miteinander auf dem Weg
zu Entscheidungen? Geschieht Frauen, darunter auch Ordensfrauen, nicht
erhebliches Unrecht, wenn letztlich nur das Wort geweihter Männer zählt?
Behindert die Art, wie innerkirchlich mit Sexualität umgegangen wird, nicht
doch bei vielen eine gesunde menschliche Reifung? Handelt kirchliche
Personalpolitik nicht oft grob fahrlässig? Wird Erstarrtes zu leichtfertig
als „gottgewollt“ hingestellt? Bischöfen,
die sich vor solchen Fragen nicht drücken, gebührt Respekt. Ich persönlich
glaube, dass die gegenwärtige Kirchenkrise – wohl die schwerste seit der
Reformation – auch eine große Chance ist. Gerade weil die Kirche jetzt
niemandem mehr etwas vormachen kann, ist es leichter für sie, wieder
wahrhaftiger zu werden, demütiger – und damit auch glaubwürdiger. 13.01.2019 Es ist
Ballsaison. Ich selbst bin zwar Ballmuffel, aber freue mich, wenn Menschen
gerne auf Bälle gehen, tanzen, fröhlich sind, Spaß haben. Auch ich habe ja
meine Vergnügungen. Andere halt. Ein Bekannter meinte, ich ginge vielleicht
deshalb nicht auf Bälle, weil ich das angesichts des großen Leides in der
Welt unmoralisch fände. Aber da irrte er. Freilich berühren mich
Naturkatastrophen, Skandale in Politik und Kirche, auch manches Leid in
meiner Nähe. Und ich verstehe die Frage, die Benedikt XVI. in einer Rede bei
einem Fest in Castel Gandolfo (3. 8. 2012) gestellt hat: „Darf man sich
eigentlich freuen, wenn die Welt so voller Leid ist, wenn es so viel Dunkles
und Böses gibt. Ist es dann erlaubt, so übermütig und fröhlich zu sein?“ Und
er fuhr fort: „Die Antwort kann nur lauten: Ja! Denn mit dem Nein zur Freude
dienen wir niemand, machen wir die Welt nur dunkler. Wer sich selbst nicht
mag, kann auch dem anderen nichts geben und ihm nicht helfen. Wir wissen es
aus dem Glauben und wir sehen es jeden Tag: die Welt ist schön und Gott ist
gut. Dadurch, dass er als Mensch unter uns hereingetreten ist und mit uns
leidet und liebt, wissen wir es endgültig und handgreiflich. Gott ist gut und
es ist gut, ein Mensch zu sein. Wir leben aus dieser Freude und aus dieser
Freude heraus versuchen wir auch, anderen Freude zu bringen und Diener des
Friedens und der Versöhnung zu sein.“ Benedikt hat mich mit dieser Rede
überzeugt – theologisch und menschlich. Viel Lebensfreude Ihnen allen! 25.11.2018 Am
Kapitolinischen Hügel in Rom gibt es eine Kirche, die dem heiligen Homobonus
geweiht ist. Homobonus heißt wörtlich „Gutmensch“. Wer war dieser Mann? Er
lebte im 12. Jahrhundert in Cremona als tüchtiger Bürger, Kaufmann, Ehemann,
Vater – und Christ. Das Vorbild Jesu bewegte ihn, Bedürftigen gegenüber
besonders großzügig und sanftmütig zu sein. Das war nicht leicht, denn Armut
ist nicht immer „brav“. Homobonus wusste: Wer beim Gutes-Tun nie
„draufzahlen“ will, versteht weder das Leben noch das Christsein noch Gott. Unlängst
las ich irgendwo: „Wenn es dir besser geht als anderen, mache deinen Tisch
länger und nicht deine Zäune höher!“ Das ist die Haltung, aus der Homobonus,
der „Gutmensch“ aus Cremona lebte (Gedenktag: 13. November). Das war auch die
Haltung jener Gutmenschen, die wir um Weihnachten gerne als Heilige feiern:
Martin, Elisabeth, Nikolaus, Maria – und besonders Jesus selbst, „der
umherzog und Gutes tat“ (Apg 10,38). Und es
gibt sie bis heute, diese Gutmenschen! Papst Franziskus nennt sie die
„Heiligen von nebenan“. Tag für Tag tun sie ganz selbstverständlich Gutes –
ihren Nachbarn, Freunden, aber auch Fremden und Unbekannten. Denn sie haben
ein Herz für alle „armen Teufel“, auch für solche, „die noch nichts in das
System eingezahlt haben“. Es macht mich traurig und zunehmend zornig, wenn
Politiker, leider auch sogenannte „christliche“, immer ungenierter das Wort
„Gutmensch“ als Schimpfwort verwenden. Angst, Neid und Geiz als Wahlhelfer?
Wer so handelt, zerstört die Werte, die er vorgibt zu verteidigen. Mein Wunsch
ans Christkind heuer: Mehr Gutmenschen, bitte! 14.10.2018 Frau M.
liebt die Kirche. Es tut ihr weh, wenn Medien über kirchliche Missbrauchsskandale
berichten. „Ich will das nicht mehr hören“, sagt sie und hofft, dass „alles
bald vorbei ist“. Ich verstehe sie. Auch ich hege manchmal solche Gedanken.
Vor allem weiß ich, dass sich viele Priester, die ich als gute, menschlich
reife Seelsorger kenne, mitbeschmutzt vorkommen. Wie kommen sie dazu! Und die
Täter? Sind nicht auch sie oft Opfer eines krankmachenden Systems? Anderseits:
Eine Kirche, die sich auf Jesus beruft, darf eine so große moralische
Katastrophe im eigenen Haus nicht ignorieren, relativieren, bagatellisieren.
Zu viele Menschen wurden verwundet, ja zerstört – und vergessen! Sie muss
sich fragen (lassen): Was ist da geschehen? Wie geht es den Opfern? Warum ist
das geschehen? Welche Gefahren birgt das „System Kirche“? Wie lassen sich
sexueller Missbrauch, Macht- und Gewissensmissbrauch verhindern? Österreichs
Kirche hat seit der „Causa Groer“ schon einige gute Schritte gesetzt.
Anderswo beginnt man erst, ins Dunkel zu leuchten. Das Problem ist leider
weltweit da. Der Papst hat es nicht leicht. Er muss, sagt Matthias Katsch
(Theologe und selbst Opfer!), „die Frösche dazu bewegen, bei der
Trockenlegung des Sumpfes mitzuwirken“. Dass einige nun die Krise nützen, um
gerade diesen Papst loszuwerden, findet Katsch absurd: „Der Papst hat
bewiesen, dass er aus Fehlern zu lernen bereit und imstande ist. Nicht
selbstverständlich für einen 81-Jährigen.“ Das lässt Katsch hoffen. Mich
auch. 02.09.2018 Viktoria
war neun, als sie 1992 mit ihrer Familie aus Russland nach Deutschland
auswanderte. Zur „Erstaufnahme“ ging es an die Ostsee. Ein
katholische Gemeinde lud die Fremden ein – auch zur Messe. „Wir
waren in der Kirche“, erzählt Viktoria später, „es war Abend, das Licht
schummrig. Ich konnte noch nicht Deutsch. Irgendwann kam das Zeichen, an den
Altar zu kommen. Wir stellten uns um den Altar. Dann ging der Pfarrer umher
und gab jedem ein Stück Brot. Ich dachte, wie wunderbar das ist, dass ich
jetzt von jemandem Fremden etwas zu essen bekomme. In diesem Moment habe ich
die Entscheidung getroffen: Ich will mit dem, der mir das gibt, eine
Beziehung eingehen. Und ich meinte nicht den Pfarrer, sondern Jesus.“ Viktoria war damals noch ungetauft und ohne
religiöses Wissen. Sie hätte nicht kommunizieren dürfen, wusste das aber
nicht. Bald zog die Familie in eine andere Gegend. Viktoria wurde dort
evangelisch getauft. Mit der katholischen Kirche hatte sie kaum noch Kontakt.
Aber die Messe damals als Kind war ihr Schlüsselerlebnis mit Gott. Heute ist
sie eine moderne, sozial engagierte Frau – und überzeugte Christin! Damit
kein Missverständnis entsteht: Ich bin für Ordnung in puncto Kirche und
Sakramente. Aber zugleich freut es mich, dass Gott auch immer wieder
„unordentliche“ Wege wählt, um Menschen zu berühren. Durch Sakramente oder
ohne sie. Denn „er selbst ist nicht an seine Sakramente gebunden", wie
der Katechismus sagt (KKK 1257). Gott geschieht – oft erfrischend irregulär. 22.07.2018 Was
wäre das Christentum ohne Frauen? Zwei ragen von Anfang an besonders hervor:
Maria, die Mutter Jesu, und Maria von Magdala, die Jüngerin und erste Zeugin
des Auferstandenen. Beide wurden als „neue Eva“ bezeichnet. Die Mutter
signalisiert den Anfang des irdischen Lebens Jesu, die Jüngerin den Anfang
der jungen Kirche nach Ostern. Papst Franziskus erhob 2016 den Gedenktag
Maria Magdalenas (22. Juli) in den Rang eines Festes und stellte so die
„Apostelin der Apostel“ den männlichen Aposteln liturgisch gleich. Ein Wink
des Heiligen Geistes, über Frau und Kirche neu nachzudenken? Johannes
Paul II. hat 1994 mit hoher Lehrautorität erklärt, das klassische Priesteramt
könne Frauen nicht anvertraut werden. Aber die Diskussion über (alte und
neue) kirchliche Ämter, die auch Frauen offenstehen sollten, ging und geht
weiter. Die Glaubwürdigkeit der Kirche hängt heute stärker denn je davon ab,
welchen Platz Frauen in der Kirche haben. Das
Vorbereitungsdokument für die Amazonas-Synode (2019) erkennt die Bedeutung
der Frauen und sagt, angesichts der großen pastoralen Kompetenz vieler Frauen
müsse die Synode auch nachdenken, „welche Art von offiziellem Amt der Frau
übertragen werden kann". Vorschläge für mögliche „Dienste und Ämter mit
amazonischem Profil" sind erbeten. Auch das einfache Volk ist gefragt.
Bin gespannt, was die Bischöfe Amazoniens daraus entwickeln. Vielleicht gehen
sie ihren Kollegen in aller Welt mutig voran. Es wäre Zeit für nächste
Schritte. 10.06.2018. Viele
werden da zustimmen: Das bestehende Kirchenrecht behindert die Seelsorge oft
mehr, als es sie fördert. Weil es von Voraussetzungen ausgeht, die es nicht
mehr gibt. Ähnliches gilt für manch kirchlichen Aktivismus, der viel Gutes
„für die Menschen und die Gesellschaft“ tun will, mit dem Ziel, auf diese
Weise der „Kirche“ (der Pfarre, der Einrichtung, der Bewegung) wieder Ansehen
und Zuwachs zu verschaffen. Nur, es klappt nicht mehr so recht. „Man riecht
die Absicht, und das wirkt unsympathisch!“, meinte kürzlich eine liebe,
kritische Freundin. Bischof Stecher sagte einmal: „Wer glänzen will, leuchtet
nicht.“ In
ihrem Zukunftsbild – zu-mindest im Kernteil! – wagt
die Katholische Kirche Steiermark einen anderen Weg: „Wir gehen vom Leben der
Menschen aus“, steht dort. Das heißt: Nicht Sorgen um die Kirche, ihr
Fortbestehen und ihr Image treiben uns an, sondern „Achtsamkeit“,
„Ehrfurcht“, „Respekt“ für unsere Mitmenschen, für die Buntheit ihres Lebens.
„Wir entdecken Gottes Wirken in den Anderen“, teilen Erfahrungen, lernen
voneinander. Und daher – so der Papst – gehören die Armen „in den Mittelpunkt
[!] des Weges der Kirche“. Sie bringen uns wenig Ansehen, nötigen uns aber zu
Demut, Realitätssinn, Risiko, Flexibilität … Offensichtlich können wir
gerade durch sie und von ihnen viel lernen – über Gott, Evangelium,
Menschsein … Haben
wir den Mut zu diesem Weg? Vielleicht schenkt Gott einer geläuterten Kirche
dann auch wieder das, was man „bessere Zeiten“ nennt. Aber die Zukunft sät
er, nicht wir. 29.04.2018. In
Einzelfällen dürfen Evangelische zur katholischen Kommunion gehen, meint die
Mehrheit der deutschen Bischöfe. (Es geht konkret um „Mischehen“.) Sieben
Bischöfe finden das unverantwortlich. Sie wollen ein Urteil aus Rom. Ob
Franziskus ihnen die Verantwortung abnimmt? Ich
frage mich eher: Ist es noch verantwortlich, Getauften, die an die wahre
Gegenwart Christi in der Eucharistie glauben und sie in rechter Absicht
empfangen wollen, die Kommunion zu verweigern? Ich denke da an lutherische
Gläubige, die bekennen: „Das Altarssakrament ist der wahre Leib und das Blut
unsers Herrn Jesus Christus“ (Martin Luther), aber auch an Reformierte, die
(wie Roger Schutz) diesen Glauben teilen. Müssen sie auch alle Details
mitvollziehen, wie nach katholischer Lehre diese Gegenwart Christi „zustande
kommt“? Gibt es da nicht auch zwischen Rom und den Ostkirchen Differenzen
(Wandlungsworte oder Epiklese)? Und doch wird Ostkirchen-Angehörigen im
Einzelfall die katholische Kommunion gegeben. Und
wenn katholische Gläubige zum Abendmahl gehen wollen? – Unsere Kirche sagt:
Nein! Den Evangelischen fehlt die priesterliche „Wandlungsvollmacht“! –
Andererseits sagt Kardinal Ratzinger (1993): Die katholische Lehre „muss
keineswegs eine Heil schaffende Gegenwart des Herrn
im lutherischen Abendmahl leugnen“. Christus ist wohl auch hier heilsam
präsent! Achtsamkeit
ist gut, Angst blockiert. Vielleicht schützen wir Christus und seine
Sakramente zu sehr vor den Menschen. Er wollte und will sich hingeben … 18.03.2018. Ohne Zweifel, die Kirche verliert in unseren Breiten an Macht und
Einfluss. Wer Kinder und Enkelkinder hat, erlebt das hautnah in der Familie.
Die Zeiten sind vorbei, in denen die Kirche die Herzen und Gewissen der
Menschen so „beherrschte“, dass diese (mehr oder wenig freiwillig)
Kirchenbänke und Beichtstühle, kirchliche Gruppen und Veranstaltungen,
Priesterseminare und Ordenshäuser füllten. Viele Kirchentreue trauern dem nach, oft resignierend. Manche wollen
in die „große Zeit“ zurück – mit altem Ritus und Andachtsformen des 19./20.
Jahrhunderts. Einige immunisieren sich in „frommen“ Gruppen gegen die
„ungläubige“ Welt. Andere träumen von einem „Comeback“ durch religiösen Eifer
und neues „Marketing“. Was aber, wenn Gott selbst will, dass seine Kirche an Macht verliert?!
Wenn er sagt: Ich will jetzt eine bescheidene Kirche! Ich will keine Kirche
mehr, die nach Macht und großen Zahlen schielt; keine Kirche, die sich
moralisch überlegen fühlt und Menschen vereinnahmt. Ich will eine demütige
Kirche, die achtsam auf Menschen zugeht – und den Mut hat, das Evangelium
wieder neu zu entdecken. Das Reich Gottes ist weit größer als die Organisation Kirche, und mein
Geist wirkt auch in Menschen, mit denen ihr nicht rechnet, und an Orten, die
euch „anders“ und fremd vorkommen. Merkt ihr es nicht, das Gute, das ich
wachsen lasse?! Könnten das Gottes Gedanken sein? Ich persönlich werde den „Verdacht“
nicht los, dass Gott so etwas im Schilde führt. Eigentlich österlich (vgl.
Johannes 21,4). 04.02.2018 „Ich bin felsenfest überzeugter Atheist!“ Eindringlich, fast
missionarisch bekräftigt der beliebte Kabarettist Robert Palfrader („Wir sind
Kaiser“) in einem ORF-Gespräch mit Clarissa Stadler sein Nein zu jeder Form
von Religion und Spiritualität: „Ich kann und will das nicht glauben!“ In
seinem Soloprogramm „Allein“ möchte er zeigen, wie absurd der Glaube an Gott
und an den freien Willen sei. Dafür ließ er sogar sein Genmaterial
untersuchen. Auf die Frage Stadlers, woran er dann glaube, sagt er: „An
nichts – und dass eigentlich alles wurscht ist, sinnlos.“ Man fragt sich, was Palfrader antreibt, so heftig gegen Religion zu
kämpfen und diesem Thema ein ganzes Kabarettprogramm zu widmen. Die Antwort
blitzt kurz im Gespräch auf – sehr bitter: „Ich bin fünf Jahre in ein
römisch-katholisches Privatgymnasium gegangen, und man hat mir dort Wunden in
die Seele geschlagen, die bis heute nicht verheilt sind.“ Nun, wir wissen: Katholische Schulen leisten viel Gutes. Ehemalige
Schülerinnen und Schüler schätzen das. Aber es gibt auch die „Palfraders“ und ihre Erfahrungen. Christliche Pädagogik hat große Verantwortung. Sie spricht gern vom
„christlichen Menschenbild“. Schlimm, wenn sie dann in einer kleinlichen
Moral mit ihren Zwängen und Ängsten stecken bleibt. Aber gut, wenn sie
Jugendlichen die Chance gibt, Menschen zu begegnen, die Gott, das Leben und
die Freiheit lieben und die fähig sind zu Vertrauen, Verantwortung und
Solidarität! Solchen reifen Menschen gilt heute mein Dank. 17.12.2017 Auf einem
Pastoral-Kongress 2013 in Prag erzählte der Salesianer-Theologe Karl Bopp
folgende Begebenheit: Im
Innsbrucker Bahnhofsviertel feiert eine Gruppe heilige Messe. Die Feier ist
schon im Gange, als eine Frau – sie ist als Prostituierte erkennbar – den
Raum betritt. Leicht alkoholisiert ruft sie dem Priester zu: „Bekomme ich da
auch etwas?“ Mit „etwas“ meint sie offensichtlich die Eucharistie. Irritiert
sagt der Priester nach einigem Zögern: „Ja, schon.“ Insgeheim betet er, die
Frau möge vor der Kommunion wieder gehen. Aber sie bleibt. Sie kommt zur
Kommunion, empfängt die konsekrierte Hostie, teilt sie, isst eine Hälfte und
steckt die andere in ihre Tasche. Dann verlässt sie den Raum. Die Gemeinde
ist verstört. Später
erfährt der Priester: Die
Frau ging mit der geteilten Hostie schnurstracks
zum Bahnhof in die Bahnhofsmission, wo eine Ordensfrau, die ihr öfter
geholfen hatte, Dienst tat. Behutsam holte sie dort die halbe Hostie aus der
Tasche und gab sie der Schwester: „Schau, was ich dir mitgebracht habe, du
isst das doch so gerne!“ Ich
bekam Gänsehaut, als Bopp das erzählte. Dogmatische Einwände wichen rasch dem
Gespür: Gott geht seine Wege! Und Menschen, die gemeinhin als „unwürdig“
gelten, sind Jesus oft näher, als wir ahnen. Sind sie Gottes Überraschungen
für uns? Im
Zukunftsbild unserer Diözese steht: „Wir vertrauen auf die Gegenwart Gottes
in jedem Menschen und bringen jeder einzelnen Lebensgeschichte Ehrfurcht und
Respekt entgegen.“ Ich gratuliere zu diesem Mut! 05.11.2017. Papst Franziskus – ein
Irrlehrer? Die
meisten Menschen sind dem Papst dankbar, dass er wiederverheirateten
Geschiedenen und anderen in „irregulären“ Situationen Lebenden behutsam das
Tor zu den Sakramenten geöffnet hat. „62 Priester und katholische Gelehrte
aus 20 Nationen“ werfen ihm nun öffentlich „Verbreitung von Irrlehren“ vor.
Die innerkirchliche Diskussion spitzt sich auf die Frage zu: Darf die Kirche
moralische Standpunkte ändern? Kann etwas, was früher verboten war, jetzt
erlaubt sein und umgekehrt? – Ich denke, Kirche darf lernen und hat oft
gelernt. Lange hielt sie Sklaverei für moralisch vertretbar, auch Folter,
körperliche Züchtigung, die Herrschaft des Mannes über die Frau usw. Heute
sagt sie nein dazu. Auch ihre Ehe-Lehre wandelte sich. Jesus sprach von Ehe
und Ehebruch, aber noch nicht darüber, was eine Ehe gültig macht, wann sie
annulliert oder sogar trotz Gültigkeit getrennt werden kann, welche Situation
von der Kommunion ausschließt usw. Erst spätere Kirchenpraxis versuchte, Jesu
Anliegen in die jeweilige Zeit zu „übersetzen“ – pastoral und juridisch. Es
gab immer Seelsorger, die Menschen in komplexen Situationen begleiteten, und
Fälle, in denen jemand mit seiner Gewissensentscheidung allein vor Gott
stand. Details ändern sich, das Herz der Moral bleibt: „Du sollst Gott lieben
mit ganzem Herzen…und deinen Nächsten wie dich selbst!“ Daran – so Jesus –
„hängt das ganze Gesetz und die Propheten“. Zu beliebig? – Wer zur Liebe fähig ist, behaupte ich, kann
Liebe von Beliebigkeit unterscheiden. 24.09.2017. Böse Religion? „Bad Religion“
ist nicht nur der Name einer Band. Religion kann tatsächlich böse sein und
Schreckliches anrichten. Rasch denkt man an Islamisten, die „im Namen Gottes“
Bomben zünden. Aber auch Christen haben „im Namen Gottes“ Ungeheures
verbrochen. Ich denke da nicht nur an Kreuzzüge und Glaubenskriege, sondern
auch an bigotte Grausamkeiten des Alltags. Eher zufällig begegnete ich im
Sommer durch Schmökern in alten Unterlagen den Lebensschicksalen
unverheirateter Mütter, unehelich geborener Kinder, Andersgläubiger,
gleichgeschlechtlich Fühlender … Wie schwer hatten es doch diese Menschen
noch vor einigen Jahrzehnten – mitten in christlicher Umgebung! Und es gibt
sie auch heute noch: unerleuchtete „Hirten“, die „den Menschen schwere Lasten
aufbürden“ (Mt 23,4). Verständlich, wenn da die Frage auftaucht: Wäre eine
Welt ohne Religion nicht glücklicher? Während
ich so nachdenke, kommt ein Mail – im Anhang ein Zitat: „Dem Kosmos und der
Natur ist der einzelne Mensch gleichgültig … Nur die Religion versichert ihm,
dass da ein Gott sei, der möchte, dass es ihn gibt, der bei ihm ist in den
Stunden der Einsamkeit und dessen Güte die Sinnlosigkeit und die Schuld aus
seinem Leben nimmt.“ Ein Wort von Eugen Drewermann, der 2005 zornig aus der
Kirche austrat, aber dem diese Botschaft wichtig blieb. Ja,
Religion kann grausam werden und „Gott“ verzerren. Da gilt es, wachsam zu
sein. Aber sie – und nur sie! – kann auch das schönste, zutiefst heilsame
Wort schenken: Gott will, dass es dich gibt! 06.08.2017 „Ehe-Krise“ Wird
der Staat gleichgeschlechtliche Beziehungen als „Ehen“ anerkennen? (In vielen
Ländern, auch traditionell katholischen, tut er es schon.) Wenn ja, bedeutet
das nicht das Ende der Welt, auch nicht das Ende des Ehesakraments. Schon
bisher sind viele standesamtliche Ehen keine Ehen im Sinne der Kirche. Staat
und Kirche haben gelernt, religiöse und staatliche Gesetze
auseinanderzuhalten. Ich persönlich meine: Aufgabe der Kirche ist es nicht,
unbedingt die „Homo-Ehe“ zu verhindern. Sie soll vielmehr positiv aufzeigen,
wie Ehen und Familien gelingen können. Eine
ganz andere Frage ist, ob gleichgeschlechtliche Paare auch einen Segen der
Kirche erhalten können. Ein Segen ist noch kein Sakrament. Aber, so fragen
Besorgte, verwirft die Bibel nicht Homosexualität überhaupt? Nach genauem
Studium der dabei zitierten Verse sagen immer mehr Theologen und
Theologinnen: Was da verworfen wird (Vergewaltigung eines Mannes durch einen
Mann, Päderastie, blinde Sexgier usw.), hat wenig
mit dem zu tun, was „gleichgeschlechtliche Liebe“ meint. Möglich, dass die
Kirche als ganze hier noch viel lernen muss, auch im Gespräch mit betroffenen
Gläubigen. Jesus selbst hat zu diesem Thema nichts gesagt. Er hat „nur“
seinen Heiligen Geist versprochen. Den werden wir brauchen. Nicht nur in
dieser Frage. 02.07.2017. Keine heilige Kuh Sie hatte eine Greißlerei, wie es sie in den
Fünfziger- und Sechzigerjahren in jedem Dorf gab. Frau M. war keine
„Betschwester“, aber der Glaube war ihr wichtig. Sie ging sonntags in die
Kirche und einmal im Monat zur Kommunion. Damals galt noch das strenge
„Nüchternheitsgebot“: Wer kommunizieren wollte, durfte ab Mitternacht nichts
essen und nichts trinken. Frau M. trank jeden Morgen ihren Kaffee, sonntags
aus einer schönen Tasse. Auch dann – und das war das Ungehörige! – wenn sie zur Kommunion ging. Als der
Pfarrer das erfuhr, war er irritiert. Er musste der frommen Frau sagen, dass
sie eine Norm missachtete: „Sie dürfen nicht zur Kommunion gehen, wenn sie
vorher Kaffee getrunken haben! Das ist ein ernstes Hindernis!“ Frau M. sah
ihren Pfarrer gütig an und antwortete ruhig und bestimmt: „Herr Pfarrer, der
Heiland ist über den See Gennesaret gegangen. Sie glauben doch nicht, dass
ihn eine Tasse Kaffee aufhalten könnte, zu mir zu kommen.“ Die Kirche hat diese Norm inzwischen
geändert. „Das oberste Gesetz der Kirche ist das Heil der Seelen.“ (Can 1752)
Kirchengebote haben den Sinn, Menschen zu Gott zu führen. Erschweren sie das,
gehören sie geändert. In
der ganzen katholischen Welt spricht man derzeit von Kirchenreform. Gehören
da nicht auch einige kirchrechtliche Normen mutig hinterfragt: Helfen sie den
Menschen, das Evangelium freudiger zu leben? Erleichtern sie Seelsorge? Oder
verhindern sie Gutes? Ich meine: Man tut dem Kirchenrecht sehr
unrecht, wenn man es für eine heilige Kuh hält. 21.05.2017. Unfassbar christlich Das
brachte den ägyptischen Starmoderator Amr Adeeb aus
der Fassung. Die Witwe eines jener koptischen Christen, die am Palmsonntag
von IS-Terroristen ermordet wurden, wandte sich in Adeebs
TV-Sendung direkt an den Mörder. Weinend sagte sie: „Gott möge dir vergeben.
Wir vergeben dir auch.“ Und: „Ich bin nicht böse auf dich. Aber denke nach,
denke nach, dann merkst du, dass wir dir nichts Böses getan haben... Du hast
meinen Mann an einen Ort versetzt, von dem ich nicht einmal träumen kann.
Glaub mir, ich bin stolz auf ihn! Und ich wünschte, ich wäre jetzt bei ihm.“
Totale Betroffenheit beim Moderator. Einige Sekunden Stille. Dann brach es
aus ihm heraus: „Wie unglaublich gross ist die
Vergebung, die ihr habt! Wenn eure Feinde wüssten, wie viel
Vergebungsbereitschaft ihr habt, sie würden es nicht glauben.“ Wäre das Opfer
sein Vater gewesen, er, der Moderator, hätte nicht so vergeben können.
„Aber“, so fuhr er fort, die ägyptischen Christen „haben so viel
Vergebungsbereitschaft!“ Ein
befreundeter Kopte in Graz hat mich auf den Video-Mitschnitt aus dieser
Sendung aufmerksam gemacht (auf www.life.de). Es gibt sie also wirklich:
Menschen, die inmitten von religiöser Verblendung, Hass und Terror, deren Opfer
sie sind, nicht nach Gegengewalt rufen, sondern konsequent die Bergpredigt
leben. Unfassbar wirklich. Unfassbar christlich. Ich bin tief berührt, auch
beschämt – und dankbar für dieses Zeugnis. Ja, so wird Jesus das mit der
Feindesliebe gemeint haben. Zurück zur Startseite von Karl Veitschegger Zurück zum Menü „Artikel, Referate,
Skizzen ..."
Karl
Veitschegger © 2018 – dato |