Karl Veitschegger (2001)

 

Lumen Christi – Gedanken zur Osterkerze


 

Feuersteine

Es war schon sehr beeindruckend, als der Dorfpfarrer aus dem großen Sakristei-Kasten Feuersteine holte und uns neugierigen Ministranten erklärte: „Das Feuer, mit dem die Osterkerze entzündet wird, muss aus Steinen geschlagen werden. Der Funke aus den Steinen ist Zeichen für den ans Kreuz geschlagenen Christus, der aus dem Felsengrab erstand, um die Welt zu erhellen.“ Im Religionsunterricht erfuhren wir Kinder, dass die Osterkerze auch an das Alte Testament erinnert. Spannend erzählte unser Katechet die Geschichte vom Roten Meer, vom Pharao, von Mose und dem Volk Israel, das in die Freiheit geführt wurde, und von Gott, der die Israeliten tagsüber in einer weißen Wolkensäule und in der Nacht in einer leuchtenden Feuersäule begleitet haben soll. „Unsere Osterkerze“, so der Katechet, „ist auch so eine Säule der Gegenwart Gottes. Gott ist in Jesus immer für uns da und will auch uns von mächtigen Tyrannen befreien. Sie heißen Angst, Sünde, Verzweiflung, Tod.“ Auch wenn wir nicht alles verstanden, es klang ziemlich toll, was Jesus da für uns unternommen hatte. Und die Osterkerze machte es deutlich.

 

Alpha und das Omega

Als jüngster Ministrant durfte ich bei der Feuerweihe auf einer Silbertasse fünf goldfarbene Weihrauchkugeln halten. Der Pfarrer steckte sie dann in das auf die Osterkerze geklebte rote Wachskreuz, und zwar in die Mitte und die vier Enden des Kreuzes je eine. Sie stellten die fünf großen Wunden des Gekreuzigten dar. Vom Tod Jesu ging ja nicht Verwesungsgeruch aus, sondern der Duft des Lebens, der Festlichkeit, der Anbetung. Jesus gab der ganzen Welt und der ganzen Geschichte einen einmaligen Sinn. Das bezeugten auch die zwei seltsamen Zeichen auf der Osterkerze: das Alpha und das Omega, der erste und der letzte Buchstabe des griechischen Alphabets. Der Gekreuzigte und Auferstandene sei Anfang und Ziel und freilich auch Mitte der Welt und unseres Lebens, erklärte der Pfarrer. Christus umfasse alles, das tiefste Dunkel und das hellste Glück der Welt. Jeder von uns müsse manchmal einen Karfreitag durchmachen, aber durch Christus habe jeder Karfreitag die Chance, einen Ostersonntag hervorzubringen. So oder ähnlich deutete der einfache Geistliche das Geheimnis der Osternacht als Geheimnis unseres Lebens.

 

Jahreszahl

Ja, und dann war auf der Osterkerze noch die Jahreszahl angebracht, in roten Wachsziffern. Das, was einst in Jerusalem geschehen sei, werde auch heute in unserem Dorf aktuell, sei jetzt für uns lebendige Gegenwart, mahnte der Pfarrer. Jesus Christus nehme uns und unser Heute in seine Auferstehung hinein. Und wir, die wir an ihn glauben, dürften, ja müssten seine Botschaft durch die Zeit tragen – von Jahr zu Jahr. Ich weiß noch gut, wie unser Pfarrer mit einer kleinen Silberlanze die Ziffern nachzeichnete: 1- 9 - 5 - 8. Seither sind viele Jahre vergangen. Jedes Jahr brachte in mein Leben eine eigene Mischung von Freuden und Sorgen, Ängsten und Hoffnungen – und verlässlich, wenn auch manchmal zaghaft, das Licht der Osterkerze: Lumen Christi! – Deo gratias!

 

(Beitrag in „kirche:konkret“ 3/2001; „Lumen Christi“ ist lateinisch und bedeudet „Licht Christi“, „Christus-Licht“.)

 

Karl Veitschegger (2001)

 

Der alte liturgische Brauch, eine eigene Osterkerze zu entzünden, ist erstmals nachweisbar in einem Antwortbrief des Kirchenvaters Hieronymus an Diakon Praesidius von Piazenza aus dem Jahre 384 n. Chr. Hieronymus ist diesem Brauch gegenüber noch skeptisch.

 

Siehe auch Osterbräuche

Leben nach dem Tod

 

Zurück zur Homepage

Zurück zum Menü „Artikel, Referate, Skizzen ...“


Karl Veitschegger © 2001