Karl Veitschegger (2020)

 

„Da purzeln einem tote Buchstaben entgegen ...“

 


Das konkret:magazin der Katholischen Kirche Steiermark (September-Oktober 2020) befragte mich zum Thema „Kirche und Sprache“

 

k:m: Was macht für dich eine gute, spirituelle Sprache aus? Wie weit ist diese Vorstellung von der kirchlichen Sprache aus der Praxis entfernt?

 

„Spirituell“ kommt von „spiritus“ und meint Lebensgeist, Lebendigkeit, mehr Leben, tieferes Leben. Manchmal spürt jeder und jede von uns: Ja, das ist es! Da ist etwas, was mein Herz bewegt, mich lebendig macht. Theologisch würde ich sagen: Dann ist man dem Geheimnis Gottes ziemlich nahe, auch wenn das Wort „Gott“ nicht fällt. Umgekehrt kann man viel über Gott und fromme Dinge reden und doch bewegt sich nichts. Da purzeln einem nur tote Buchstaben entgegen … Jeder und jede kann sich fragen: Wann und wo erlebe ich in der Kirche anregende Lebendigkeit? In ihrer Körpersprache, also in Auftritt und Gehabe der Kirche? Und in welchen Formen der Verkündigung?

 

Wie viele Freiheiten hat ein Priester /eine Wort-Gottes-Feierleiterin / …, um zB einen Gottesdienst sprachlich einfacher / verständlicher zu gestalten?

 

Die Freiheit ist sicher in der Predigt am größten. Hier kann bewusst auf konkrete Personen und ihre Lebenssituation eingegangen werden. Die Qualität der Predigt lässt an vielen Orten allerdings sehr zu wünschen übrig. Hier wäre mehr eigene Betroffenheit und auch mehr Vorbereitung derer, die verkündigen, ein Segen. Darüber hinaus ist im Gottesdienst auch vieles vorgegeben. Und das ist gut, da gleichbleibende Rituale uns helfen, unsere Herzen einfach mitschwingen zu lassen, auch im großen Strom der liturgischen Tradition. Zur Kunst des Feierns gehört dann eine kluge Ausgewogenheit zwischen Vorgabe und freier Gestaltung, Tradition und Kreativität, Alt und Neu. Das ist durchaus möglich. Es muss jedenfalls spürbar sein: Hier geht es primär um Begegnung mit Gott im Hier und Heute, nicht um sterile Brauchtumspflege oder seichte Unterhaltung.

 

Wie kann es gelingen, Sprachbilder aus der Bibel ins Heute zu übersetzen?

 

Ich würde bei den Personen der Bibel anfangen. Viele Personen in der Bibel sind Menschen wie du und ich: Sie wollen gut sein, hauen aber oft kräftig daneben. Angst, Gier, Großzügigkeit, Hass, Grausamkeit, Liebe, Freundschaft, Verrat, Zweifel, Glaube – alles oft dicht nebeneinander und ineinander verwoben. Und doch geht Gott mit diesen fehlerhaften Menschen seinen Weg. Er geht mit ihnen viele Umwege mit. Öffnet Auswege. Holt sie immer wieder aus ihren „Verlorenheiten“ heraus. Wenn mir jemand zeigen kann, dass damit auch ich gemeint bin, wird die Bibel lebendig für mich.

Und eine gute menschennahe Theologie kann helfen, auch schwierige Bilder und Geschichten so zu vermitteln, dass wir spüren können: Hier geht es nicht um Vergangenheit, sondern um uns heute! Wir sind Abraham, Sara, Rebekka, David, Maria Magdalena, ein verlorenes Schaf oder ein achtsamer Hirte.

 

Nicht nur die Rituale, auch die Sprache der Kirche kann für kirchenferne Personen befremdlich und elitär wirken. Gibt es Möglichkeiten, um diesem Eindruck entgegenzuwirken?

 

Ja, hier ist ständige Übersetzungsarbeit notwendig. Eine gute Theologie – sie ist in unserer Zeit wichtiger denn je! – verbunden mit großer Nähe zum Leben der Mitmenschen, kann gute Übersetzungsarbeit leisten. Ein Rat von mir: Möglichst wenig Formeln einfach nur hersagen (z.B. „Der Auferstandene ist bei uns!“, „Jesus ist für uns gestorben!“), sondern immer mit-fragen: Wo ist das für die Angesprochenen erfahrbar? Wer sich so redlich bemüht, findet, glaube ich, mit der Zeit auch die richtige Sprache für sehr unterschiedliche Menschen.

 

Die Predigt soll das Evangelium ins Heute übersetzen. Wie kommt es, dass dennoch vielerorts durch komplizierte Sprache an den Gläubigen vorbeigepredigt wird?

 

Es gibt immer zwei Dinge zu beachten: einerseits das konkrete Leben der Menschen: Was bewegt oder verstört sie? Was brauchen sie oder suchen sie?

Und andererseits den Blick in das Evangelium: Was ist das zentrale Anliegen Jesu? Und was bedeutet das jetzt für diese oder jene Situation? Und dann schlage ich vor: Das, was beim Nachdenken herauskommt, so zu formulieren, dass es die Nachbarin oder der Nachbar versteht. Dann wird es nicht ganz schiefgehen.

 

Man bekommt immer wieder den Eindruck, Priester (wie auch Politiker) flüchten sich gerne in Floskeln und bleiben in ihren Aussagen möglichst unverbindlich. Warum fällt es manchen so schwer, Dinge klar zu benennen (und dazu zu stehen)?

 

Floskeln sind immer ein Kennzeichen dafür, dass man sich der Komplexität des Lebens nicht stellen will, also Ausweichen durch Vereinfachen, oder dass die Botschaft zur Propaganda vertrocknet ist, was für den Glauben ganz schlimm ist, und/oder dass man sich vom konkreten Leben der Menschen entfern hat, meist auch von einer gesunden Selbstwahrnehmung. Dann redet „es“ in fertigen Sätzen aus mir, aber es ist tot, tut nicht weh, aber macht auch nicht mehr lebendig. Lazarus bleibt im Grab. Ostern findet nicht statt.

 

Woran fehlt es am meisten? Welche Entwicklung ist besonders gut?

 

Wo Seelsorger und Seelsorgerinnen ihre Mitmenschen gern haben und wirklich ungeheucheltes Interesse an deren Leben zeigen, unabhängig davon, ob sie pastoralen „Erfolg“ haben oder nicht, wo sie – wie es Bischof Weber oft gesagt hat – „dem Leben treu bleiben“ und wo sie zugleich achtsam schauen, wo der Geist Jesu heute am Werk ist, wo das Evangelium neu verstanden wird, da ereignet sich das, wofür Kirche eigentlich da ist: Gott kommt an beim Menschen! – Beurteile selbst, wo das heute in unserem Lande geschieht …!

Wo das fehlt, kann man predigen, beten, veranstalten und propagieren, was man will, da gibt es dann zwar auch manch schöne Dinge, aber es sind eben doch nur übertünchte Gräber. „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? – Er ist nicht hier!“ (Lk 24, 5f) Also zurück nach „Galiläa“, das heißt: zurück in das alltägliche Leben der Menschen!

 

 

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