Karl Veitschegger (13. 09. 1993)

 

800 Seiten Glaubenskunde

 

Kritische Würdigung des seit 1992 gültigen Katechismus der katholischen Kirche


 

Hirtenstab eines Bischofs - Zeichen der Verantwortung (Foto: Unbekannt)Seit einigen Monaten ist er auch in deutscher Sprache da: der neue „Katechismus der katholischen Kirche“. Johannes Paul II. entsprach einem Wunsch der Bischofssynode von 1985, als er eine Gruppe von Bischöfen und Theologen beauftragte, dieses Kompendium zu erarbeiten. Jetzt liegt die Frucht sechsjährigen Schaffens vor. Primär als Handbuch für die „Hirten der Kirche" gedacht, wird es „zugleich allen Gläubigen angeboten“ (Johannes Paul II.). Für den, der wissen will, was heute offizielle (!) Lehre der katholischen Kirche ist, wurde hier auf ca. 800 Seiten in 2865 Absätzen (Nummern) alles Wichtige systematisch zusammengetragen.

 

Sammelnd bewahrend

 

Sprache und Ausdrucksweise sind traditionell kirchlich gehalten. Man will bewusst Bewährtes bieten. Wer im Katechismus nach neuen, noch nicht offiziell anerkannten theologischen Gedanken sucht, sucht am falschen Ort. Im Bild gesagt: Der Katechismus ist ein Reiseführer (durch das Land des katholischen Glaubens), der sich bewusst auf die bereits bekannten Wege und Straßen verlässt, neue Wege aber eher meidet. In diesem Sinne ist er ein konservatives Werk, sammelnd und bewahrend, nicht vorwärtsdrängend. Er bestreitet allerdings nicht, dass es eine legitime Weiterentfaltung der kirchlichen Lehre geben muss. Die Theologen werden daher aufgefordert, „wissenschaftliche Vorarbeit“ zu leisten, damit „das Urteil der Kirche reife“ (119). Wer seinen Glauben krampfhaft an Formeln hängen will, wird erinnert: „Wir glauben nicht an Formeln, sondern an die Wirklichkeiten, die diese ausdrücken“ (170). Und: „Unsere menschlichen Worte reichen nie an das Mysterium Gottes heran“ (42).

 

Helles Gottesbild

 

Freundlich und hell wird von Gott gesprochen: „Mag auch der Mensch Gott vergessen und zurückweisen, hört Gott doch nicht auf, jeden Menschen zu rufen, damit dieser ihn suche und dadurch lebe und sein Glück finde“ (30). Der Heilige Geist „macht die Menschen bereit [...], um sie zu Christus zu ziehen“ (737). Denn im Zentrum des Christentums stehen nicht geschriebene Worte, sondern eine Person: Jesus Christus. Er selbst ist das lebendige Wort Gottes. Wenn der Katechismus in diesem Zusammenhang betont, dass das Christentum „nicht eine Buchreligion ist“ (108), relativiert er sich damit auch selbst. Sture Katechismus-Fundamentalisten wird das freilich nicht freuen. Auch der Wunsch nach Privatoffenbarungen und Visionen, der in manchen katholischen Kreisen stark ausgeprägt ist, wird äußerst kritisch beleuchtet (65). Schön wird die Menschlichkeit Jesu zur Sprache gebracht (z.B. 423, 472, 531). Klar ist auch: „Von der Krippe bis zum Kreuz teilt Jesus das Leben der Armen“ (Nr. 544). Noch nie hat ein Katechismus so vehement die soziale Gerechtigkeit eingefordert wie dieser ( 2402ff).

 

Einladende Kirche

 

Und die Kirche? Was ist ihre Aufgabe? Sie ist „das sichtbare Projekt der Liebe Gottes zur Menschheit“ (Nr. 776). Auch das Kirchengebäude soll deutlich machen, dass die Kirche „das weit offen stehende einladende Haus aller Kinder Gottes“ ist (1186). Stark untermauert wird das Hirtenamt, die Hierarchie. Allerdings: „Christus, der große Prophet erfüllt sein prophetisches Amt nicht durch die Hierarchie, sondern auch durch Laien“ (904), die „nicht nur zur Kirche gehören, sondern die Kirche sind“ (899). Die sieben Sakramente werden ausführlich dargelegt, ihre Schönheit und Wichtigkeit für unser Heil unterstrichen, aber auch hinzugefügt: „Er [Gott] selbst ist nicht an seine Sakramente gebunden“ (1257). Gott kann immer und überall wirken. Und so ist er auch in den nichtchristlichen Religionen den Menschen nahe, weil „er will, dass alle Menschen gerettet werden“ (843).

 

Problematisches

 

Im Moralteil werden – wie schon in früheren Katechismen – viele einzelne Handlungen als „schwere Sünde“ klassifiziert. Allerdings wird auch immer wieder auf mildernde Umstände hingewiesen (1735, 1793, 1860, 1861, auch 2352), um klar zu machen, dass nicht jeder, der äußerlich eine „schwere Sünde“ begeht, auch vor Gott wirklich ein Todsünder ist. Auffällt, dass künstliche Empfängnisverhütung zwar abgelehnt, aber nicht unter die „schweren“ Sünden gegen Keuschheit (2396) und Ehe (2400) gezählt wird. Hier schließt der Katechismus an Paul VI. an, der bereits 1968 in der Enzyklika Humanae vitae in Abweichung von seinen Vorgängern darauf verzichtet hat, künstliche Verhütung als „schwere Sünde“ zu bezeichnen. Auch in anderen Fragen (z.B. Beurteilung der Folter) wird die Lehrentwicklung der Kirche sichtbar (Nr. 2298). Unumstößlich gilt: „Dem sicheren Urteil seines Gewissens muss der Mensch stets Folge leisten“ (Nr. 1790).

 

Kostbares

 

In den Abschnitten über das christliche Gebet kann der aufmerksame Leser echte Kostbarkeiten für das geistliche Leben finden.

Kein Glaubensbuch kann uns das Glauben und das Leben abnehmen. Auch dieser Katechismus nicht. Wenn er direkt oder indirekt dazu beiträgt, dass Menschen sich wieder mehr um ein gediegenes Glaubenswissen bemühen, ist ihm schon viel gelungen. So bleibt zu hoffen, dass er nicht nur einigen (katholischen) Buchverlagen Gewinn bringt, sondern dem ganzen Volk Gottes.

 

Karl Veitschegger (13.09.1993)

 

Die wichtigsten Änderungen in der deutschen Neuauflage 2003 aufgrund der Editio typica latina

 

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