Karl Veitschegger (2004)

Der Papst – ein „Heiliger Vater“?


 

Viele Christinnen und Christen – nicht nur aus dem protestantischen Bereich - stoßen sich daran, dass der Bischof von Rom (Papst) als „Heiliger Vater“ angeredet wird. Darf man denn einen Menschen „heilig“ nennen? Und hat nicht Jesus selbst gesagt: „Ihr sollt niemand auf Erden euren Vater nennen, denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel“ (Mt 23,9)?

 

Biblischer Sprachgebrauch

Auf Erden lebende Menschen „heilig“ zu nennen, ist uns fremd geworden. Für den Apostel Paulus war das noch eine Selbstverständlichkeit. Alle, die an Jesus Christus glauben, waren für ihn „Heilige“ (1 Kor 1,2; Röm 1,7 usw.). Auch wenn das längst aus der Mode gekommen ist, steht laut Bibel allen Christen und Christinnen, obwohl sie sündhafte Menschen bleiben, die Anrede „Heiliger“ und „Heilige“ zu – also auch dem Papst.

Nun zur Anrede „Vater“: Auch hier kann uns Paulus weiterhelfen. Er sah kein Problem darin, sich als geistlichen „Vater“ der Christengemeinde in Korinth zu bezeichnen: „Hättet ihr auch ungezählte Erzieher in Christus, so doch nicht viele Väter. In Christus Jesus bin ich durch das Evangelium euer Vater geworden.“ (1 Kor 4,15; vgl. auch 1 Thess 2,11; Psalm 1,10; 1 Tim 1,2; 2 Tim 1,2) Niemand wird Paulus deswegen ernsthaft einen Verstoß gegen das Jesus-Wort in Matthäus 23,9 (siehe oben!) vorwerfen. Und Stephanus, ein Christ der ersten Generation, der mit den Absichten Jesu noch bestens vertraut war, titulierte die Mitglieder des jüdischen Hohen Rates als „Männer“ und „Brüder“, aber auch als „Väter“! (Apg 7,2; auch Paulus verwendet diese Anrede in Apg 22,1).

 

„Gott ist euch näher als irgendjemand sonst"

Aus dem Verhalten dieser Freunde Jesu dürfen wir schließen, dass Matthäus 23, 9 nicht unbedingt wortwörtlich zu befolgen ist. (Übrigens: Würde man Matthäus 23,9 wirklich ganz wörtlich verstehen, dürfte nicht einmal ein Kind zu seinem leiblichen Vater „Vater“ sagen und es gäbe unter der Jüngerschaft Jesu auch keine Frauen, weil hier nur von „Brüdern“ die Rede ist!) Jesus geht es gewiss nicht darum, bestimmte Anreden oder Titel zu verbieten, sondern er hat uns mit seinem Wort wohl Wichtigeres und Tieferes zu sagen: Gott ist euch näher als irgendjemand sonst. Niemand auf Erden versteht euch so gut, kann euch so gut Vater sein wie Gott. Er ist eure erste und letzte Autorität! Nichts und niemand darf ihm vorgezogen werden.

Ich sehe in diesem Jesus-Wort auch die Wahrheit vom Gewissen angesprochen, die der Katechismus der katholischen Kirche so ausdrückt: „Das Gewissen ist der verborgenste Kern und das Heiligtum des Menschen, in dem er allein ist mit Gott, dessen Stimme in seinem Innersten widerhallt.“ (1795) Daher gilt auch: „Dem sicheren Urteil seines Gewissens muss der Mensch stets Folge leisten.“ (1790)

 

Väterlicher und heiliger Dienst

Auf die Frage in der Überschrift würde ich also antworten: Niemand muss den Papst „heilig" oder „Vater" nennen, aber es ist auf Grund des Neuen Testamentes auch nicht verboten. Der Papst ist nach katholischer Auffassung der Nachfolger des Apostels Petrus (vgl. Mt 16,18-19; Joh 21,15-17). Als Erster unter den Bischöfen trägt er besondere Verantwortung für die Einheit der Kirche. Er hat einen „väterlichen" und „heiligen“ Dienst zu erfüllen, aber er ist nur ein Mensch, ja ein „sündhafter Mensch“ – wie es der heilige Petrus auch war (Lk 5,8; Apg 10,26).

 

(2006 im Seelsorger-Behelf für den Papstbesuch 2007 in Mariazell veröffentlicht)

 

Karl Veitschegger (2004)

 

Zitate zum Bedenken:

Papst Johannes Paul II. schreibt in seiner Ökumene-Enzyklika „Ut unum sint“ im Mai 1995, dass er die „Bitte vernehme, eine neue Form der Primatsausübung zu finden, die zwar keineswegs auf das Wesentliche ihrer Sendung verzichtet, sich aber einer neuen Situation öffnet".(95) Und er lädt die anderen Kirchen ein: „Der Heilige Geist schenke uns sein Licht und erleuchte alle Bischöfe und Theologen unserer Kirchen, damit wir ganz offensichtlich miteinander die Formen finden können, in denen dieser Dienst einen von den einen und anderen anerkannten Dienst der Liebe zu verwirklichen vermag" (95 )

 

Zum Artikel Ist der Papst unfehlbar?

Zum Artikel In den Schuhen des Fischers (Petrusamt)

L´Osservatore Romano – die Zeitung des Papstes 

Radio Vatikan – „Stimme des Papstes"

 

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