Karl Veitschegger

 

Apropos Heiligenverehrung

 

Ergänzung zu meinem Artikel: Wie ist das mit den Heiligen? – Heiligenverehrung aus kath. Sicht

 

 

Gerade im streng monotheistischen Judentum der Zeitenwende, wie es Jesus und die ersten Christengemeinden vorfinden, ist die Fürbitte der Engel und Heiligen nicht unbekannt. So ruft man in Notsituationen und besonders in Todesgefahr den Propheten Elija um seine Hilfe an (vgl. Jesus Sirach 48,11; Matthäus 27,47 und Parallelstellen). Der Verfasser des Buches Jesus Sirach (48,4-11) spricht den in den Himmel erhöhten Propheten Elija direkt an: „Wie Ehrfurcht gebietend warst du, Elija... Wohl dem, der dich sieht und stirbt; denn auch er wird leben." Und das zweite Buch der Makkabäer (15,12 und 15,14) bezeugt die Glaubensvorstellung, dass im Jenseits der Prophet Jeremia und der Hohepriester Onias bei Gott „für das ganze jüdische Volk" Fürbitte einlegen. Nach dem Buch Tobit (12,12) trägt der Erzengel Raphael das Gebet des Tobit „vor den heiligen Gott", das Buch Ijob (33,23-25) kennt Engel als Fürbitter (vgl. auch Sacharja 1,12-13). Das Neue Testament übernimmt diese Vorstellung problemlos, wie die Offenbarung des Johannes beweist (5,8 und 8,4). Der Seher der Offenbarung spricht auch von den Märtyrern, die für die noch auf Erden lebenden Verfolgten eintreten: Ich sah »unter dem Altar die Seelen aller, die hingeschlachtet worden waren wegen des Wortes Gottes und wegen des Zeugnisses, das sie abgelegt hatten. Sie riefen mit lauter Stimme und sagten: „Wie lange zögerst du noch, Herr, du Heiliger und Wahrhaftiger, Gericht zu halten?“ (6,9-10) Wenn Engel und Heilige bei Gott für die Menschen auf Erden Fürbitte einlegen dürfen, dann, so schloss das gläubige Volk, kann es nicht verboten sein, sie auch darum zu bitten.

 

Auch im späteren Judentum lebt die Überzeugung, dass die in die Ewigkeit vorausgegangenen Stammväter und Stammmütter (von Rahel nimmt man das z. B. auf Grund von Jeremia 31,15-17 an) und andere „Gerechte" (z.B. die Zaddikim im Chassidismus) bei Gott für Israel (oder die ganze Menschheit) Fürbitte leisten und Gott ihre „Mühe lohnt“. Das Judentum sieht in dieser Fürbitte keinen Widerspruch zur Heiligen Schrift und zum Monotheismus der Bibel.

 

Im Jahre 156 n. Chr. schreiben die Christen von Smyrna einen Bericht über das Martyrium ihres Bischofs Polykarp. Darin heißt es: „Christus beten wir an, weil er der Sohn Gottes ist. Die Märtyrer aber lieben wir als Jünger und Nachahmer des Herrn wegen ihrer unvergleichlichen Hingabe an ihren König und Meister. Möchten doch auch wir ihre Gefährten und Mitschüler werden!“ (MartPol 17,3) Und: „Nachdem wir die sterblichen Überreste Polykarps zusammengesucht hatten, kostbarer als seltene Schmuckstücke und reiner als feines Gold, haben wir sie am üblichen Ort beigesetzt. Wenn wir uns an diesem Ort in Jubel und Freude zusammenfinden, sooft es uns möglich ist, wird der Herr uns gestatten, das Gedächtnis seines Martyriums zu feiern in Erinnerung an alle, die bereits diesen Kampf bestanden haben, und auch zur Übung und Vorbereitung all derer, denen er in der Zukunft noch bevorsteht.“ (MartPol 18,3)

 

Um 235 n. Chr. ermahnt Origenes (185-254) zwei unter Kaiser Maximinus verfolgte Christen, sie mögen zum Märtyrertod bereit sein, auch wenn sie dadurch ihre Familie im Diesseits scheinbar unversorgt zurücklassen müssten. Wer um Christi willen seine Familie geringer als Gott achtet, sie  - biblisch gesprochen - in dieser Welt „hasst" (so wörtliche Übersetzung von Lukas 14,26, Einheitsübersetzung: „gering achtet“), schadet ihr nicht, sondern kann ihr nach seinem Tod durch seine Fürbitte bei Gott mehr Gutes tun, als er auf Erden für sie hätte tun können: „Wie wir aber unser Leben [...] ,hassen' müssen, so musst du, der ein Weib und Kinder und Brüder und Schwestern hat, sie 'hassen', damit du den ,Gehassten' Nutzen bringst; denn gerade durch deinen ,Hass' ein Freund Gottes geworden, erlangst du die Freiheit, ihnen Gutes zu erweisen [...] Denn dann wirst du sie verständiger lieben und einsichtsvoller für sie beten..." (Exhortatio ad martyrium 37f)

 

Viele antike Graffiti in S. Sebastiano in Rom bezeugen die weite Verbreitung und Selbstverständlichkeit der Heiligenverehrung um 250 n. Chr.. Sie enthalten Anrufungen der Apostel Petrus und Paulus in vulgärlateinischer, griechischer und aramäischer Sprache, also bereits von Pilgern aus verschiedenen Teilen der Welt. Beispiele für lateinische Graffiti: „Petre ed Paule petite pro Victore!“ (Petrus und Paulus, betet für Viktor!), „Petre et Paule, in mente habete Sozomenum!“ (Petrus und paulus, denkt an Sozomenus!), „Petre et Paule subvenite Primitivo peccatori!“ (Petrus und Paulus unterstützt Primitivus, den Sünder!)

 

Bischof Cyprian von Karthago (um 200-258) schreibt: „Als unsere Heimat betrachten wir das Paradies [...] Eine große Anzahl von Lieben erwartet uns dort, eine stattliche, mächtige Schar von Eltern, Geschwistern und Kindern sehnt sich nach uns, um die eigene Rettung bereits unbesorgt und nur um unser Heil noch bekümmert. Unter ihre Augen, in ihre Arme zu eilen, welch große Freude für sie und uns zugleich!“ (De mortalitate 26)

Auf einem ägyptischen Papyrus aus dem 3. Jahrhundert findet sich eine Anrufung Marias, der Mutter Jesu: „Unter deine Barmherzigkeit fliehen wir, Theotokos [Gottesgebärerin]“ (1938 von C. H. Roberts als Papyrus Rylands 470 publiziert).

 

Im Jahre 406 antwortet Hieronymus (342-420) dem Priester Vigilantius, der in einem Buch die Anrufung der Heiligen in Frage stellte: „Du sagst in deinem Buch, dass wir füreinander beten können, während wir noch am Leben sind, aber nachdem wir gestorben sind, kann das Gebet für einen anderen nicht erhört werden. [...] Aber wenn die Apostel und Märtyrer für andere beten können, während sie noch im Leibe sind, zu einer Zeit, in der sie noch um sich selbst besorgt sein müssen, wie viel mehr werden sie solches tun, nachdem sie ihre Kronen, Siege und Triumphe empfangen haben?“ (Contra Vigiliantium 6; PL 23, 359)

 

Martin Luther schreibt 1519 in seinem „Sermon von der Bereitung zum Sterben": „Dazu soll der Mensch alle heiligen Engel, besonders seinen Schutzengel, die Mutter Gottes, alle Apostel und lieben Heiligen anrufen, besonders diejenigen, zu welchem ihm Gott besondere Andacht gegeben hat. Er soll aber so bitten, dass er nicht zweifle, sein Gebet werde erhört."

Und 1520 schreibt er in seiner Magnifikat-Auslegung: „Maria will nicht eine Abgöttin sein. Sie tut nichts. Gott tut alle Dinge. Anrufen soll man sie, dass Gott durch ihren Willen gebe und tue, was wir bitten; wie auch alle anderen Heiligen so anzurufen sind, dass das Werk immer ganz allein Gottes bleibe." Und am Schluss: Wir „bitten Gott um rechtes Verstehen dieses Magnificat, das nicht allein leuchte und rede, sondern brenne und lebe in Leib und Seele Das verleihe uns Christus durch Fürbitte und Willen seiner lieben Mutter Maria. Amen." Auf die Anfrage des Pfarrers von Eilenberg, Georg Kunzelt, wie man mit der Predigt beginnen solle, antwortete Martin Luther mit Brief vom 15.Juni 1520: „Ich lasse nämlich die wortreichen Vorsprüche weg und beginne kurz mit folgenden Worten: Dass das Wort Gottes uns fruchtbar sei und Gott angenehm, so lasset uns zuvor seine göttliche Gnade anrufen, und sprechet ein inniges Ave Maria oder Paternoster." (Karin Bornkamm und Gerhard Ebeling, Luthers Werke VI, Frankfurt a. M. 1982, S. 26f. / WA Briefe II, Nr. 300)

 

Im Augsburger Bekenntnis von 1530 (Artikel 21 Vom Dienst der Heiligen) bekennen die Lutheraner: „Vom Heiligendienst wird von den Unseren so gelehrt, dass man der Heiligen gedenken soll, damit wir unseren Glauben stärken, wenn wir sehen, wie ihnen Gnade widerfahren und auch wie ihnen durch den Glauben geholfen worden ist; außerdem soll man sich an ihren guten Werken ein Beispiel nehmen, ein jeder in seinem Beruf … Aus der Heiligen Schrift kann man aber nicht beweisen, dass man die Heiligen anrufen oder Hilfe bei ihnen suchen soll. ,Denn es ist nur ein einziger Versöhner und Mittler gesetzt zwischen Gott und den Menschen, Jesus Christus.' (1. Tim 2,5)." – Dem ist aus katholischer Sicht nur hinzuzufügen: Die Bibel schätzt aber die Fürbitte der Menschen füreinander und verbietet nirgends, auch die Heiligen im Himmel um diese Fürbitte anzugehen!

 

(Übrigens: Im Unterschied zur altchristlichen Praxis wird Luther bereits zu Lebzeiten von seiner Anhängerschaft als „Heiliger" dargestellt: Darstellung des  Reformators von Hans Baldung Grien aus dem Jahre 1521. Luther trägt hier Heiligenschein, über ihm schwebt die Taube des Hl. Geistes.

Auch in der „Brüdernkirche" von Braunschweig werden Luther und Reformatoren neben den alten Kirchenvätern dargestellt, Luther als der vom tschechischen Reformator Hus [=Gans]  prophezeite „Schwan".)

 

 

Aus dem Katechismus der katholischen Kirche von 1993: „Die Zeugen, die uns in das Reich Gottes vorausgegangen sind, [...] betrachten Gott, loben ihn und sorgen unablässig für jene, die sie auf Erden zurückließen. Beim Eintritt in die ,Freude des Herrn' wurden sie ,über vieles gesetzt' (vgl. Mt 25,21). Ihre Fürbitte ist ihr höchster Dienst an Gottes Ratschluss. Wir können und sollen sie bitten, für uns und die ganze Welt einzutreten." (2683)

 

 

Karl Veitschegger 2002

 

 

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