Karl Veitschegger (1997/2003)

 

Geschieden – alle Rechte in der Kirche verloren?

 

10 Klarstellungen des Referenten für Glaubensinformation i. d. Diözese Graz-Seckau

 


1. Niemand ist wegen einer Scheidung – sie ist oft der einzige Ausweg aus einer zerstörerischen Ehe – von den Sakramenten ausgeschlossen. Geschiedene dürfen zur hl. Kommunion gehen, Paten sein usw. Es gelten hier keinerlei kirchenrechtliche Einschränkungen.

 

2. Manche kommen zur Überzeugung, dass ihre Ehe – obwohl seinerzeit in der Kirche feierlich begonnen – aus bestimmten Gründen (z.B. psychische Unreife eines Partners zur Zeit der Eheschließung) nicht gültig ist. Wenn der Bischof bzw. kirchliche Gerichte auf Grund von Beweisen die Ungültigkeit feststellen (Annullierung), sind die Betroffenen frei, wieder kirchlich zu heiraten.

 

3. Viele gehen nach der Scheidung eine neue, „nichtkirchliche" Partnerschaft (z.B. standesamtliche Ehe) ein. Für sie gelten normalerweise Einschränkungen beim Sakramentenempfang, sie gehören aber weiterhin zur Gemeinschaft der Kirche und sind eingeladen, die Gottesdienste mitzufeiern, sich am Leben ihrer Pfarren zu beteiligen, kirchliche Einrichtungen in Anspruch zu nehmen usw. Auch in der Frage des Patenamtes gilt: „Kein Rigorismus!" (Kardinal Ratzinger, später Benedikt XVI.). Sie dürfen Trauzeugen sein und erhalten ein kirchliches Begräbnis.

 

4. Es ist der ausdrückliche Wunsch des Papstes und aller Bischöfe, dass die Seelsorger und Pfarrgemeinden den geschiedenen und wiederverheirateten Kirchenmitgliedern mit Verständnis und Respekt begegnen und ihnen menschlich und religiös beistehen.

 

5. Viele Geschiedene, die in einer „nichtkirchlichen" Gemeinschaft leben, verspüren kein Bedürfnis, die Sakramente zu empfangen. Es gibt aber auch solche, die den ernsten Wunsch haben, zur hl. Kommunion zu gehen. Ihnen kann empfohlen werden, im Gespräch mit einem Seelsorger zu klären, wie ein geeigneter Weg gefunden werden kann.

 

6. Scheidung ist nicht gleich Scheidung, und Wiederheirat ist nicht gleich Wiederheirat. Motive und Lebensumstände sind oft recht verschieden. In der Seelsorge soll jeder Mensch mit seiner individuellen Lebensgeschichte ernst genommen werden.

 

7. Einige römische kirchliche Dokumente zu diesem Thema machen auf wichtige Dinge aufmerksam: die eheliche Treue, die Würde der Eucharistie, den inneren Zusammenhang von Ehesakrament und Kommunion usw., sie können aber sicher nicht alle oft sehr komplizierten Einzelfälle regeln. Hier ist der erfahrene Seelsorger, die erfahrene Seelsorgerin gefragt.

 

8. Die Sakramente sind nicht käuflich. Wer Kirchenbeitrag zahlt, leistet einen wichtigen Grundbeitrag für die Gemeinschaft der Kirche, er „erkauft" sich damit aber nicht das Recht auf bestimmte Sakramente. Deshalb richtet sich die Höhe des Kirchenbeitrages nach der wirtschaftlichen Situation der Kirchenmitglieder und nicht danach, wie häufig jemand persönlich an der Feier der Sakramente teilnimmt.

 

9. Nicht nur für wiederverheiratete Geschiedene, sondern für alle, die zur hl. Kommunion gehen wollen, gilt die ernste Mahnung des Apostels Paulus: „Jeder soll sich selbst prüfen; erst dann soll er vom (eucharistischen) Brot essen!" (1 Kor 11,28)

 

10. In Konfliktfällen wird sich der Christ/die Christin bemühen, größere Klarheit zu gewinnen, indem er/sie auf das Wort Gottes hört und offen ist für die kirchliche und menschliche Gemeinschaft. Letztlich gilt: „Dem sicheren Urteil seines Gewissens muss der Mensch stets Folge leisten.“ (Katechismus d. katholischen Kirche 1790).

 

Karl Veitschegger (1997/2003)

 

Wertvoll in schwierigen Gewissensfragen ist der Rat der Bibel:

"Berate dich mit einem stets Besonnenen, von dem du weißt, dass er die Gebote hält, mit einem, dessen Herz denkt, wie dein Herz und der dir hilft, wenn du strauchelst. Doch achte auch auf den Rat deines Gewissens. Wer ist dir treuer als dieses? Das Gewissen des Menschen gibt ihm bessere Auskunft als sieben Wächter auf der Warte. Bei alledem bete zu Gott! Er wird in Treue deine Schritte lenken." (Jesus Sirach 37,12-15)

 

 

Papst Franziskus in seinem Schreiben Amoris laetitia

„Die Geschiedenen in einer neuen Verbindung […] können sich in sehr unterschiedlichen Situationen befinden, die nicht katalogisiert oder in allzu starre Aussagen eingeschlossen werden dürfen, ohne einer angemessenen persönlichen und pastoralen Unterscheidung Raum zu geben.“ (298) – „Daher ist es nicht mehr möglich zu behaupten, dass alle, die in irgendeiner sogenannten ,irregulären‘ Situation leben, sich in einem Zustand der Todsünde befinden und die heiligmachende Gnade verloren haben.“ (301)

 

„Aufgrund der Bedingtheiten oder mildernder Faktoren ist es möglich, dass man mitten in einer objektiven Situation der Sünde – die nicht subjektiv schuldhaft ist oder es zumindest nicht völlig ist – in der Gnade Gottes leben kann, dass man lieben kann und dass man auch im Leben der Gnade und der Liebe wachsen kann, wenn man dazu die Hilfe der Kirche bekommt. [Dazu Fußnote 351]: In gewissen Fällen könnte es auch die Hilfe der Sakramente sein. Deshalb erinnere ich die Priester daran, dass der Beichtstuhl keine Folterkammer sein darf, sondern ein Ort der Barmherzigkeit des Herrn. Gleichermaßen betone ich, dass die Eucharistie nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen ist." (305)

 

 

Katholischer Erwachsenenkatechismus

zum Sakramentenempfang der wiederverheirateten Geschiedenen:

"Das kirchliche Recht kann nur eine allgemein gültige Ordnung aufstellen, es kann jedoch nicht alle oft sehr komplexen einzelnen Fälle regeln."

(Katholischer Erwachsenenkatechismus. Das Glaubensbekenntnis der Kirche, herausgegeben. v. d. der deutschen Bischofskonferenz, appr. 22. 12. 1984 von Kleruskongregation, 2. Auflage 1985, Seite 395)

 

Kardinal Schönborn:

"Ich denke die wirkliche Barmherzigkeit in dieser Frage der wiederverheirateten Geschiedenen liegt darin, dass zuerst einmal die Schuldgeschichte benannt wird und man nicht schnelle Heilung durch ein sakramentales Pflaster in Aussicht stellt. Erst wenn man sagen kann, das ist wirklich aufgearbeitet worden, da ist eine Trauerarbeit, eine Reuearbeit, vielleicht sogar eine Versöhnungsarbeit geschehen, dann kann man sehr wohl verantwortungsbewusst seelsorglich sagen, hier ist eine Situation, in der auch ein Zugang zu den Sakramenten wieder sinnvoll ist.

(Aus Interview mit „Die Presse" am 10.5.2008)

 

 

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