Karl Veitschegger (1980/2001)

 

Erlösung – was ist das?


 

Ist das Glück eine Illusion?

Wir leben in einer sehr widersprüchlichen Wirklichkeit. Einerseits bestaunen wir die Schönheiten der Natur, schätzen die Augenblicke stillen Glücks, sind wie verzaubert in der Begegnung mit dem geliebten Menschen, lassen uns erfrischen durch das frohe Lachen der Kinder und erleben Sicherheit in der Gegenwart guter Freunde. Wir bringen es zusammen, großzügig und gütig zu sein, zärtlich und hilfsbereit. Und ab und zu überkommt uns mit aller Macht die Freude am Leben. Aber wir bekommen auch die andere, die dunkle Seite des Lebens zu spüren: Naturkatastrophen, menschliche Grausamkeiten, fremde und eigene Schuld, Zwänge, in denen wir leben müssen. Wir kennen die Angst und die Einsamkeit, die Überforderung und die Ungewissheit vor der Zukunft, den Verlust eines lieben Menschen ... Und am Ende kommt der Tod. Schlägt er nicht alle Türen zu? Ist das Glück des Lebens nicht doch eine Illusion? Misstrauen befällt uns.

 

Adam und Eva und der Apfel

Wenn uns die Bibel die uralte Geschichte von Adam und Eva erzählt (vgl. Genesis 2 und 3), dann nicht um uns eine Reportage über das Leben der Urmenschen zu bieten, sondern um uns bildhaft die Widersprüchlichkeit unseres Lebens vor Augen zu führen: Wir sind Adam und Eva. Wir greifen gierig nach dem Leben und pflücken den Tod. Wir sind Verführte und Verführer, Betrogene und Betrüger. Wir sind in eigene und fremde Schuld verstrickt. Wir haben Sehnsucht nach Gott und trauen ihm doch nicht ganz. Wir wollen leben und müssen sterben. Ein Teufelskreis? Und Gott? Schaut er zu? Will er gar das Böse, um uns klein zu kriegen?

 

Die religiöse Erfahrung Israels

Bei allem Dunkel, das die Herkunft des Bösen verhüllt, schon das Volk Israel durfte erfahren, dass Gott keine Freude hat am Unglück des Menschen. Beim Auszug aus Ägypten und immer wieder - so erzählt die Bibel - stellt Gott sich auf die Seite der Geknechteten, offenbart er sich als Gott, der die Menschen in die Freiheit führen will und ihr Glück im Auge hat. Aber quälende Fragen bleiben: Warum schafft Gott dann das Böse (oder die Bösen) nicht einfach ab? Ist Gott nicht doch grausam, wenn er Unschuldige leiden lässt? Und was ist mit dem Tod?

 

Zwangsbeglückung?

Gott führt offenbar keine Säuberungswellen im Schild, keine groß angelegten Zwangsbeglückungen, um unsere Welt über Nacht in ein Schlaraffenland zu verwandeln. Das entspricht eher den Maßnahmen von Diktatoren. Und die Menschen sind durch sie nie glücklicher geworden. Es gibt keine Erlösung über die Köpfe hinweg. Gott wirbt um die Freiheit des Menschen: „Redet Jerusalem zu Herzen ...!“ (Jesaja 40,2) Er will uns – so die biblische Tradition – auf Du und Du begegnen, sucht unser Herz, unsere Offenheit für ihn, unsere Umkehr. Er appelliert an unsere Phantasie für das Gute. So bietet er Erlösung an.

 

Der Mann aus Nazaret

Die Menschen, die um Jesus von Nazaret waren und sich auf ihn eingelassen hatten, machten eine tiefe Erfahrung. In Jesus begegnete ihnen die Liebe und Großzügigkeit Gottes. Hier war ihnen Gott unsagbar nahe. Hier spürten sie: Unser Leben liegt doch in den Händen eines guten Gottes - und die ganze Welt auch! Diese Erfahrung führte zu Veränderungen: Öffentliche „Sünder“ wagten einen Neubeginn, Reiche teilten ihre Habe, Kranke wurden gesund, Gekrümmte richteten sich auf, seelisch Zerrüttete fanden Ruhe und Ausgestoßene Freundschaft. Weil sie Gott als großzügig und vergebungsbereit erfuhren, konnten sie auch selbst verzeihen und auf Rache und Gewalt verzichten. Wer sich auf diesen Jesus einlässt, erfährt Erlösung. Damals – und auch heute.

 

Gott kann alles Dunkle in Licht verwandeln

Und das Unheilbare? Das unschuldige Leiden? – Ein Blick auf Jesus zeigt: Auch er wurde unschuldig hingerichtet. Gott hat ihm den gewaltsamen Tod nicht erspart. Wir wissen letztlich nicht, warum. Grausam? Sinnlos? – Ja, es wäre sinnlos, wenn es das Geheimnis von Ostern nicht gäbe! Aber am ersten Ostermorgen – so die wichtigste Botschaft des Christentums – hat Gott die scheinbare Allmacht des Todes gebrochen und uns auf unser verzweifeltes Fragen seine „Antwort“ gegeben. Der gekreuzigte und auferstandene Zimmermann aus Nazaret ist Gottes endgültiges Ja zum Glück des Menschen: Jedes Leid, jede Träne, jedes menschliche Versagen und alles, was uns jetzt noch sinnlos vorkommt, wird durch Jesus von Gott angenommen. Und Gott kann alles Dunkle und Absurde, alles Schiefgelaufene in Glück und Freude verwandeln. Er „wischt die Tränen ab von jedem Gesicht“ (Jesaja 25,8; vgl. Offenbarung 21,4).

Dürfen wir auf so etwas hoffen? Ist unsere Sehnsucht nach erfülltem Leben keine Illusion? Jesus macht uns jedenfalls Mut, daran zu glauben. Deshalb können wir schon jetzt als Erlöste leben. Manchmal ziemlich spürbar.

 

Artikel in „Brief vom Kalvarienberg Graz", April 1980 (leicht verändert 2001)

 

Karl Veitschegger (1980/2001)

 

 

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