Karl Veitschegger

Altes Testament – alt, aber nicht veraltet!

 

Skizze für Impulsreferat (1996, 2000)


 

Vorbemerkungen:

 

    Der Name „Altes Testament" ist irreführend. Denn die 46 Bücher der Bibel (39 kanonische und sieben deuterokanonische in katholischen Bibelausgaben), die schon vor Jesus verfasst worden sind, enthalten eine noch immer gültige und „junge" Botschaft. Manche sprechen daher lieber vom „Ersten Testament" (kann aber auch missverständlich sein).

 

    Das Alte Testament, großteils in Hebräisch verfasst, ist zuerst die Bibel des jüdischen Volkes.

 

    Das Alte Testament birgt über 1000 Jahre Glaubenserfahrung Israels in sich: Gotteswort in Menschenwort!

 

    Wenn Jesus von Nazaret, die Apostel und die Urkirche von „der Schrift" sprechen, meinen sie immer das Alte Testament. Es gibt noch kein „Neues".

 

    Die Schriften des Neuen Testamentes werden erst später, ab der dritten Christengeneration, zur „Heiligen Schrift" gezählt.

 

    Die katholische Kirche lehrt, dass aus dem Alten und dem Neuen Testament derselbe Gott spricht: „Wer sagt oder glaubt, der Gott des alten Gesetzes [= der Thora] sei ein anderer als der Gott der Evangelien, sei ausgeschlossen." (1. Synode von Toledo, 400 n. Chr.)

 

 

Was mich im Alten Testament besonders anspricht:

 

    Gott ist nicht nur ein höheres Wesen, sondern „El Abraham, El Jitzchak, El Ja'akob – der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs", ein Gott, der mit den Menschen geht, sich mit ihnen verbündet und ihr Wohl (Schalom) im Auge hat.

 

    Gott ist keine anonyme kosmische Kraft, sondern trotz seiner Unendlichkeit ein DU; er hat einen Namen: JHWH (vermutlich „Jahwe" gesprochen, erst seit dem Mittelalter irrtümlich auch „Jehova"); er heißt „Ich bin“ – „Ich bin da!"

 

    „Gott schuf den Menschen als sein Bild ..." (Gen 1,27) – Nur so lässt sich die unverlierbare Würde jedes Menschen wirklich begründen (sie darf nicht von Biologie, Leistung oder politischer Konvention abhängig sein).

 

    Gott ist ein Gott, der aus der Knechtschaft befreit, ein „parteiischer" Gott (auf Seiten der Schwachen) – die Urerfahrung Israels (Buch Exodus, Jeziat Mizrajim = Auszug aus Ägypten).

 

    Der liebende Gott ist auch ein zürnender (weil engagierter) Gott. Gott ist zornig über Unterdrückung und Ungerechtigkeit. Manchmal werden Gott allerdings auch „Verhaltensweisen" zugeschrieben, die einer archaischen Welt entstammen und heutigen Humanitätsidealen nicht entsprechen. Die Autoren des Alten Testamentes benützen oft unbekümmert Vorstellungs- und Ausdrucksweisen ihrer Zeit.

 

    Gott will eine gute Zukunft für Israel, für die Erde und schließlich für alle Völker (Hoffnungsreligion; Messias als Symbolgestalt der Hoffnung).

 

    „Du sollst dir kein (Gottes-) Bild machen!" (Ex 20,4) – Dieses Gebot wird seit der Exilszeit (im Unterschied zu älteren Zeiten, wie z. B. Richter 17,1-13 und archäologische Funde beweisen) von den Juden sehr ernst genommen und später auch im Islam strikt eingehalten. Das (katholische) Christentum war hier oft zu unbekümmert. Sehr leicht können Bild-Symbole als Abbilder missverstanden werden!

 

    „Gedenke des Tages des Sabbats: Halte ihn heilig!" (Ex 20,8 u. Deut 5,12). Hier wird geboten, inmitten aller Geschäftigkeit bewusst Ruhe zu geben! Christliche, islamische und profane Gesellschaften übernehmen die Kultur des Wochenrhythmus.

 

    Die Propheten und Prophetinnen üben unbestechliche Kritik an der politischen und religiösen Macht, warnen im Namen Gottes, machen dem Volk in schwerer Zeit aber auch Mut! – „Ein Prophet ist nicht ein Wahrsager. Das wesentliche Element des Propheten ist nicht, dass er zukünftige Ereignisse sagt, sondern Prophet ist einer, der aus der Berührung mit Gott die Wahrheit sagt, und zwar die Wahrheit für heute, so dass sie freilich auch die Zukunft erhellt." (Joseph Ratzinger, Interview in 30giorni/1999)

 

    Die Sprache alttestamentlicher Beter und Beterinnen ist zutiefst menschlich, offen und „unzensuriert" (Psalmen!). Auch Zorn, Hass und Rachebedürfnis werden vor Gott ausgesprochen – und vielleicht in der Folge dadurch sublimiert!?

 

    Die in der Bibel bezeugte Lebensweisheit Israels bietet auch für uns heute noch wertvolle Lebensorientierung (vgl. Sir 30,21-25) „Die Schrift ist ein Kräutlein, je mehr du es reibst, desto mehr duftet es." (Martin Luther)

 

 

Israel und die Kirche

 

    Der Barnabasbrief, eine frühchristliche Schrift (um 130 n. Chr.), schreibt über Jesus: „Er predigte und lehrte in Israel und vollbrachte so viele Zeichen und Wunder. Er liebte das Volk [Israel] über alle Maßen."

 

    „Das Heil kommt von den Juden" (Joh 4,22), sagt Jesus im Johannesevangelium. Durch den Juden Jesus haben auch nichtjüdische Menschen teil an den geistlichen Schätzen Israels. Die jüdische Bibel wurde seit Jesus und durch Jesus auch zur Heiligen Schrift der Christinnen und Christen.

 

    Unter den vielen Religionen der Welt hat das Christentum nur eine Mutter: das Judentum (zur Zeit Jesu).

 

    Antijudaismus war ein tragischer und schrecklicher Irrweg der späteren Christenheit (wie z. B. Johannes Paul II. und viele Päpste und Bischöfe seither klar einbekannten), in gewisser Weise Wegbereiter für den (freilich unvergleichlich) grausamen Antisemitismus eines Adolf Hitler und des Nationalsozialismus.

 

    Israel ist nicht verworfen oder verflucht, sondern bleibt „Gottes erste Liebe“ (Friedrich Heer).

 

    „Der Glaube Jesu einigt uns, der Glaube an Jesus trennt uns." (Schalom Ben-Chorin) Aber wir können gemeinsam auf das Kommen des Messias warten (wobei Christen und Christinnen überzeugt sind, dass es Jesus von Nazaret ist, der „wiederkommt in Herrlichkeit").

 

    Die Schoah ist für viele jüdische und nichtjüdische Menschen das stärkste Argument gegen den Glauben an einen liebenden Gott. Kann man angesichts dieser maßlosen Gräuel noch an Gott glauben? – Eine mögliche Antwort geben jene Jüdinnen und Juden, die im vollen Wissen um ihre bevorstehende Vernichtung dennoch betend, ja sogar singend in die Gaskammern gegangen sind. Kein philosophisches Argument, aber gelebter Glaube! Dürfen wir diesen Glauben ernst nehmen, als sinnvoll anerkennen? Ich als Christ bin jedenfalls diesen jüdischen Brüdern und Schwestern für ihr Glaubenszeugnis unendlich dankbar.

 

 

Michael Wyschogrod, jüdischer Theologe:

„Der jüdische Glaube ist von Anbeginn an Glaube, dass Gott tun kann, was menschlich unbegreiflich ist. In unserer Zeit schließt das den Glauben ein, dass trotz Auschwitz Gott seine Verheißung erfüllen wird, Israel und die Welt zu erlösen. Kann ich verstehen, wie das möglich ist? Nein. Und erst recht kann ich nicht verstehen, wie Gott es jemals wieder an denen gutmachen kann, die im Holocaust umkamen. Aber mit Abraham glaube ich, dass er es tun wird. Ist dieser Glaube anstößig? Macht er es sich nicht mit dem Leid der Ermordeten zu leicht? In gewisser Hinsicht ja, ganz bestimmt aber aus menschlicher Sicht. Aber Gott kann und wird es tun. Er ist nicht an das gebunden, was menschenmöglich ist. Er hat versprochen, uns zu erlösen, und er wird es tun."

 

Quelle: M. Wyschogrod, Gott – ein Gott der Erlösung, in: M. Brocke/H. Jochum (Hg.), Wolkensäule und Feuerschein. Jüdische Theologie des Holocaust, München 1982 (Anm. 2), 178-194, 185.

 

Karl Veitschegger (November1996, Juli 2000)

 

Gott der Bibel - ein Gott der Gewalt?

Kurzeinführung in das Judentum

Erster Papstbesuch in einer Synagoge

KCJ: http://www.christenundjuden.org

Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel (Päpstliche Bibelkommission)

 

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